Europa pauschal unsicher

Anschläge haben der örtlichen Tourismusbranche einen Dämpfer verpasst

ROTHENBURG – Reisen in Zeiten des Terrors: Die jüngsten Anschläge kamen der Tauberstadt ziemlich nahe und hinterließen nicht nur bei vielen Einheimischen ein mulmiges Gefühl. Auch Urlauber – gerade aus Übersee – passen als Folge davon ihre Reisepläne an. Für die hiesige Tourismusbranche macht sich dies durch Stornierungen und sinkende Buchungszahlen bemerkbar.

„Chance in der Krise sehen“: Jörg Christöphler, Marion Beugler und Dr. Markus Hirte.   Foto: Scheuenstuhl

„Chance in der Krise sehen“: Jörg Christöphler, Marion Beugler und Dr. Markus Hirte. Foto: Scheuenstuhl

Als Schwarzmalerei möchte man diese Entwicklung im Rothenburg Tourismus Service (RTS) aber nicht verstanden wissen. Eher sei es in gewissen Bereichen ein „Jammern auf hohem Niveau“. Denn 2015 war für den hiesigen Tourismus ein Rekordjahr, in dem nach 2013 sogar wieder die 500000er-Marke bei den Übernachtungen geknackt wurde.

Die Sorgen der betroffenen Hotellerie- und Gastronomiebetriebe nimmt man jedoch durchaus ernst. Jörg Christöphler, oberster städtischer Touristiker, warnt aber davor zu pauschalisieren. Die Marktanteile bei den Übernachtungen lagen im vergangenen Jahr bei 45,9 Prozent für Deutschland und 54,1 Prozent für das Ausland. „Die deutschen Gäste kommen auch weiterhin“, sagt der Rothenburger Tourismusdirektor.

Bei Teilen des Auslandsmarktes könnte man hingegen durchaus von einer „angespannten Situation“ sprechen. Denn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verzeichnete man heuer von Januar bis Juli 16,5 Prozent weniger Ankünfte aus dem Ausland. In absoluten Zahlen sind das 14040 Gäste weniger. Bei den Übernachtungen gibt es ein Minus von 15,6 Prozent beziehungsweise 17096 Übernachtungen.

Der Zuwachs von fast 10 Prozent an Ankünften und 9 Prozent an Übernachtungen aus Deutschland kann diese Rückläufe nicht kompensieren. Wenn man sich allerdings die Fünfjahresperspektive anschaut, so sieht die Lage nicht mehr ganz so düster aus. Denn dort steht unter dem Strich ein Plus: Von Januar bis Juli 2015 gab es demnach 8,2 Prozent mehr Ankünfte und 4,4 Prozent mehr Übernachtungen aus dem Ausland als im Vergleichszeitraum 2011.

Japaner am vorsichtigsten

Gerade die Japaner entpuppen sich in letzter Zeit als besonders vorsichtige Weltenbummler. Bereits als Reaktion auf die Anschläge in Paris im vergangenen November überdachten viele Einzelreisende aus Nippon ihren Trip nach Europa, in einem Fall – so zumindest eine Überlieferung eines Reiseveranstalters – auch schon mal in letzter Minute im Flugzeug. Dies trifft Rothenburg besonders hart, denn seit dem Spitzenjahr 2013 mit 79843 Übernachtungen aus Japan kommen auch aufgrund von Wirtschafts- und Konsumkrisen von dort weniger Touristen zu Besuch. So verzeichnet man bei den Übernachtungen ein Minus von 34 Prozent gegenüber 2013.

Die Anschläge in Brüssel Ende März haben das angeknackste Sicherheitsgefühl zusätzlich erschüttert, obwohl der Terrorismus (noch) weit von Rothenburg entfernt war. Aber: „Je weiter weg sich der potenzielle Tourist befindet, desto stärker wird Europa als Ganzes wahrgenommen“, erklärt Jörg Christöphler. Damit gilt folglich auch Deutschland pauschal als tendenziell unsicheres Gebiet.

Hinzu kommt, dass Touristen aus Übersee eben nicht nur die Tauberstadt besuchen, sondern diese Reise über den Ozean, die sich viele nur einmal in ihrem Leben leisten können oder wollen, dazu nutzen, soviel wie möglich von Europa zu sehen. Meist fliegen sie über Frankfurt am Main ein, bereisen Teile Mittel- und Südeuropas und „arbeiten“ sich so bis zu ihrem Ziel Paris vor. Sie kommen also durchaus etwas herum auf dem alten Kontinent und damit auch in direkte Nähe vergangener Anschlagsziele.

Was bisher ein eher abstraktes Gefühl der Unsicherheit war, wurde durch die Ereignisse in Würzburg und Ansbach greifbar. Nun reagieren auch Einzelreisende aus den Vereinigten Staaten und Italien vorsichtiger. „Für die großen Häuser in Rothenburg kann dies 10 Prozent an Stornierungen bedeuten“, schätzt der Toursimusdirektor.

In Gesprächen mit den „Ambassadors of Music“ sei ihm versichert worden, dass sich die musikalischen Gäste aus Amerika hier sicher fühlen. Allerdings machen sich die Verwandten zu Hause sorgen und erkundigen sich öfter als sonst, wie es ihnen geht. Was die Italiener betrifft, so geht Jörg Christöphler davon aus, dass sich heuer der sogenannte „Ok­toberfest-Effekt“ schwächer in den Zahlen niederschlagen wird.

Eigentlich hängen viele Italiener an ihre Fahrt über die Alpen zum weltgrößten Volksfest in München die gut 250 Kilometer noch dran, um bei dieser Gelegenheit auch gleich die Tauberstadt zu besuchen. Da im Moment aber besonders Menschenansammlungen bei vielen ein ungutes Gefühl auslösen, ist ein Rückgang bei den italienischen Besuchern alles andere als ausgeschlossen. Und noch ein Stück weiter gedacht: Auch für den Rothenburger Reiterlesmarkt bleibt abzuwarten, wie sich das subjektive Sicherheitsgefühl der potenziellen Besucher entwickelt.

„Ganz anderer Schub“

Die gesteigerte Angst vor Anschlägen wird einerseits durch offizielle Reisewarnungen gespeist. In den vergangenen Monaten rieten etwa Japan, Amerika, Kanada und Hongkong ihren Bürgern von Reisen nach Europa ab. Was andererseits aber noch höhere Wellen schlägt ist, laut Jörg Christöphler, die „Verdichtung der Ereignisse durch die Medien“. Fast in Echtzeit könne man an den Taten teilhaben, wodurch das Ganze einen „ganz anderen Schub bekommt“. „Das macht extrem viel aus und strahlt auch auf die Auslandsmärkte aus“, erklärt der Tourismusdirektor.

Man müsse die veränderte Sicherheitslage ernst nehmen, schließlich waren die jüngsten Angriffe nicht allzu weit weg von Rothenburg. Jedoch, so mahnt der Tourismusdirektor, gelte es besonnen zu reagieren und Panik zu vermeiden. Und: „In jeder Krise liegt eine Chance“. Für die Tauberstadt sieht Jörg Christöphler diese etwa in einer gesteigerten Wertschätzung des Tourismus.

Beitrag des Gastgewerbes

Wenn durch derartige äußere Einflüsse der Ertrag der örtlichen Gastronomie und Hotellerie geschmälert wird, so seine zugrunde liegende Überzeugung, dann werde auf mittlere Sicht deutlich, welchen Beitrag das Gastgewerbe für die Wirtschaftskraft der Stadt, aber auch für den Erhalt der historischen Häuser leistet. Sollten die Ankunfts- und Übernachtungszahlen weiterhin zurückgehen, werden etwa Betriebe „vorsichtiger bei Neueinstellungen und Investitionen“, prophezeit Marion Beugler, Vorsitzende der hiesigen Ortsgruppe des Hotel- und Gaststättenverbands.

Der Knick bei den Besucherzahlen würde somit beispielsweise indirekt auch die örtlichen Handwerksbetriebe treffen, da Sanierungs- oder Verschönerungsmaßnahmen hinausgezögert werden. Die momentane Situation zeige deshalb in einem „Brennspiegel, wie anfällig das ist, was sonst nicht wertgeschätzt wird“, fasst Jörg Christöphler zusammen.

Aber auch ohne Terror gibt es viele Faktoren, die sich negativ auf die Touristenzahlen auswirken können. Während der Hochzeiten der Weltwirtschaftskrise etwa gab es zweistellige Rückgänge bei den Besucherzahlen. Seit Beginn der Krise in der Ukraine kommen auch immer weniger Gäste aus Russland nach Rothenburg. Selbst wegen des Wahlkampfs in den Vereinigten Staaten zieht es weniger US-Touristen nach Übersee. Und was die Zukunft betrifft: Über kurz oder lang wird man auch die Nachwehen des Brexit spüren. „Wir leben eben nicht auf einer Insel“, merkt Jörg Christöphler an.

Auf die Sicherheitslage an sich oder auf wirtschaftlich-politische Krisen im internationalen Rahmen haben die Akteure im Rothenburger Tourismus keinen Einfluss. Die Konsequenz davon heißt, sich verstärkt mit attraktiven Produkten am Markt zu platzieren. Denn auch nach 135 Jahren in dem Geschäft ist der Tourismus für die Tauberstadt alles andere als ein Selbstläufer.

Einbruch abgefedert

In den jüngsten Ereignissen in Bayern sieht auch Dr. Markus Hirte, Leiter des Rothenburger Kriminalmuseums einen „Wendepunkt“. In seinem Haus merke man ebenso, dass weniger Touristen in der Stadt sind. Einen Einbruch der Besucherzahlen habe man aber dank der Luther-Sonderausstellung abfedern können, die viele Leute vor allem aus dem Umland und ganz Deutschland in die Tauberstadt zieht.

Grundsätzlich gelte es „neue Attraktionen und touristische Innovationen“ wie Themenjahre oder Genießen ob der Tauber zu entwickeln, sagt Tourismusdirektor Jörg Christöphler. Dies könne vom RTS allerdings nur unterstützt und nicht gestellt werden. Ein Schulterschluss aller Kulturträger ist hierfür nötig. Wie eben auch allgemein in der Gesellschaft angesichts der momentan schwierigen Zeiten. mes

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