Ästhetik im Alltäglichen
Doerfler-Galerie zeigt die Blütezeit der Jugendstil-Künstlerplakate
SCHILLINGSFÜRST – „Masse statt Klasse“ ist heutzutage das Leitmotiv für Plakate. Spätestens wenn das darauf angekündigte Ereignis vorbei ist, ist das Plakat nicht mal mehr das Papier wert, auf dem es gedruckt ist. Es gab aber auch Zeiten, in denen Ankündigungen höchste künstlerische Ansprüche hatten. Derartige Werke sind momentan in der Ludwig-Doerfler-Galerie in der Ausstellung „Plakatkunst des Jugendstils“ zu sehen. Sie sind auch Zeugnis für das verbindende Moment in der europäischen Kunstgeschichte.

Fließende Linien und Ornamente: Ankündigung der Messe „Das moderne Heim“ 1902 in Paris.
Paris ist die romantische, Barcelona die extravagante Vertreterin des Jugendstils. Auf Schritt und Tritt begegnet man in den beiden Metropolen dem architektonischen Erbe dieser Epoche. Als Bindeglied zwischen Historismus und Moderne verbreitete sich der Jugendstil Ende des 19. Jahrhunderts von England aus in ganz Europa. Bis zum ersten Weltkrieg schufen Künstler, Architekten und Kunsthandwerker – oftmals gemeinsam – Gebrauchsgegenstände, die heute immer noch aufgrund ihres außergewöhnlichen handwerklichen und ästhetischen Wertes, äußerst beliebt sind.
Um ihr Jugendstilerbe zu bewahren, schlossen sich 26 Städte aus ganz Europa zu einem Netzwerk zusammen. Darmstadt und Bad Nauheim sind die deutschen Vertreter in diesem Bündnis. Es finden sich aber in unzähligen anderen Städten ebenfalls Spuren des Jugendstils, wie etwa in Schillingsfürst in Form der Villa Roth. Wegen dieses Bezugs zur fränkischen Heimat, so Museumsleiterin Hai Yan Waldmann-Wang, wollte sie die Ausstellung „Plakatkunst des Jugendstils“ unbedingt in die Doerfler-Galerie holen. Durch eine Ausstellung ihrer eigenen Werke in Bad Nauheim im vergangenen Jahr, lernte sie Hiltrud Hölzinger kennen, die dem dortigen Jugendstilverein vorsteht. Die Schillingsfürster Museumsleiterin durfte einen Tag lang in dem Depot des Vereins stöbern, das zwei Räume voller Plakatkunst des Jugendstils umfasst. Den Vorschlägen von Jugendstil-Fachfrau Hiltrud Holzinger vertrauend schmücken noch bis zum 3. Oktober, 50 Exponate die Wände des Schillingsfürs-ter Heimatmuseums.

Museumsleiterin Hai Yan Waldmann-Wang bewies erneut ihre Netzwerk-Qualitäten. Fotos: Scheuenstuhl
Bei der Auswahl wurde Wert darauf gelegt, eine gewisse Bandbreite hinsichtlich der Ursprungsländer zu zeigen. Zwar gibt es einen kleinen Schwerpunkt auf französischen Werken, doch auch etwa Deutschland, Belgien, Schottland, Österreich und Tschechien sind in dem Reigen vertreten. Ein Großteil der ausgestellten Plakate stellt Ankündigungen für Ausstellungen, Turnfeste oder Messen dar. Politische Plakate sind bis auf ein Werk aus Ungarn für den Internationalen Kongress für das Frauenwahlrecht (1913) nicht dabei. Museumsleiterin Hai Yan Waldmann-Wang ist „überglücklich“ diese besondere Ausstellung für ihr Haus bekommen zu haben. Der Jugendstil sei eine ihrer liebsten Kunstrichtungen, erklärt sie. Besonders stolz ist sie auf das Plakat von Gustav Klimt. Darauf kündigte der österreichische Maler die 1. Ausstellung der sogenannten Wiener Secession (Vereinigung bildender Künstler Österreichs) im Jahr 1898 an. Aber auch Egon Schieles Werk, das zur 49. Ausstellung der künstlerischen Vereinigung einlud, die ihm selbst gewidmet war, ist ein wahrer Schatz der Plakatkunst. Lange Zeit waren künstlerische Grafiken schwarzweiß abgebildet. Dank verbesserter Drucktechniken wurden der Werbung ab 1868 neue Wege eröffnet. Als erster produzierte der Franzose Jules Chéret (1836 bis 1932) mit einer neuen, vereinfachten Technik in seiner eigenen Druckerei vielfarbige Plakate, wofür er auf der Weltausstellung 1889 die Goldmedaille verliehen bekam. Infolge dieser Innovation erreichte das Plakat als eigenständige Kunstform seinen Höhepunkt. Jules Chérets Plakate kamen auch wegen der darauf gezeigten leicht bekleideten Dame sehr gut beim Publikum an. Der Franzose schaffte es in beeindruckender Weise, Bilder und Texte zu prägnanter Einheit zusammenzufügen. Zwischen 1894 und 1898 trat das Künstlerplakat seinen Siegeszug in Europa und den Vereinigten Staaten an. Doch mit der zunehmend sachlichen und wissenschaftlichen Bewertung der Reklame wurde die Wirkung künstlerisch hochwertiger Plakate ab der Jahrhundertwende zunehmend in Frage gestellt. Die Werbepsychologie brachte sich in Stellung und Fachleute für Reklame liefen Künstlern nach und nach den Rang ab.
Die Vertreter des Jugendstils fanden in der Natur eine grundlegende Quelle für ihre Motive. Auch durch die Wiederentdeckung der japanischen Kunst im ausgehenden 19. Jahrhundert sind fließende Linien, florale Ornamente und geometrische Formen kennzeichnende Elemente des Jugendstils. Ein weiteres Merkmal dieser Kunstepoche war der Versuch, Kunst im Alltag erlebbar zu machen, ganz im Sinne des Leitmotivs: „Kunst für alle und Kunst in allem“. Im Vergleich zur Klassik mit ihren überbordenden Ausschmückungen, war der Jugendstil einerseits reduzierter. Andererseits drückte sich darin trotzdem immer ein hoher ästhetischer Anspruch aus. Dieser schlug sich beispielsweise auch in eigenen Schriftformen aus. Die von bekannten Künstlern zu Werbezwecken gestalteten Plakate sind mittlerweile begehrte und hoch gehandelte Sammlerobjekte. Die Exponate in der Ausstellung sind deshalb meist Nachdrucke oder sogar abfotografierte Drucke. Viele Jugendstil-Motive, besonders von französischen Künstlern, sind auch jenen schon einmal untergekommen, die in der Kunstwelt weniger versiert sind. Beispielsweise die Plakate von Henri de Toulouse-Lautrec rufen wohl bei vielen Betrachtern ein „Déjà-vu-Gefühl“ hervor. Mit dem Tschechen Alfons Mucha ist in der Doerfler-Galerie einer der herausragendsten Repräsentanten des Jugendstil vertreten. Eines seiner ausgestellten Plakate kündigt ein Turnfest in Prag im Jahr 1912 an. Auch von diesem Werk ist Hai Yan Waldmann-Wang sehr begeistert. „Es ist beeindruckend, wie man mit einem Druck eine derartige Plastizität erreichen kann“, staunt sie. Die Exponate sind nicht nur ein Überblick über die Blütezeit der Künstlerplakate. In Zeiten, in denen die europäische Idee zunehmend in Frage gestellt wird können sie auch dabei helfen, ein Bewusstsein zu schaffen, welches künstlerische Erbe die einzelnen Nationalstaaten gemein haben. „Kunst hält die Menschen zusammen“, sagt Museumsleiterin Hai Yan Waldmann-Wang. Die hier gezeigten Kunstwerke verdeutlichen die Vielfalt in der Einheit. mes Die Ausstellung „Plakatkunst des Jugendstils“ ist noch bis zum 3. Oktober in der Ludwig-Doerfler-Galerie zu sehen.
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