Froh über Zeitenwende
Paul Kamm gehörte zu den Debütanten an der Edith-Stein-Realschule
BUCH AM WALD – Wie die Mutter, so der Sohn: Als Melissa Kamm vor fast 20 Jahren ihren Abschluss an der Mädchenrealschule Schillingsfürst machte, hätte sie im Traum nicht daran gedacht, dass irgendwann mal Jungen auf das „Institut“ gehen werden. Einer dieser forschen Pioniere ist ihr Sohn Paul. Der mittlerweile angehende Sechstklässler hat sich selbst dafür entschieden und bereut es in keinster Weise.
Selbst ist der Mann, heißt es so schön im Volksmund – und sei er auch erst 11 Jahre alt, möchte man hinzufügen. Denn als für Paul Kamm aus Schweikartswinden der nächste große Schritt in seiner Schullaufbahn anstand, überließ er nichts dem Zufall. Der damalige Viertklässler hat sich auf eigenen Wunsch hin sowohl die Rothenburger Oskar-von-Miller Realschule, als auch die Schillingsfürster Edith-Stein-Realschule angeschaut. „Beim Infotag in Schillingsfürst habe ich gleich Freunde gefunden“, erzählt Paul noch immer ganz begeis-tert. Positiv beeinflusst hat ihn aber auch sicherlich, dass viel vom Lehrstoff bereits in der Schule, unter anderem auch in Freier Stillarbeit, durchgenommen wird und nicht in Form langwieriger Hausaufgaben. Deshalb ist er nach wie vor sehr angetan von seiner Wahl für die ehemalige Mädchenschule.
Dies wird auch nicht dadurch geschmälert, dass er der einzige Junge aus seiner Grundschulklasse ist, der diesen Weg einschlug. In Pauls Klasse, der 5b, waren unter den 23 Schülern zehn Jungs. Insgesamt gab es 18 junge Herren, die sich als erste Schüler in die ehemalige Mädchenschule wagten. Für Paul sei es überhaupt kein Thema gewesen, dass die Realschule bis zum vorletzten Schuljahr nur für Mädchen offen war, erinnert sich seine Mutter. Der 11-Jährige führt nun fast schon eine Familientradition fort und befindet sich dabei in bester Gesellschaft: Nicht nur seine Mutter Melissa Kamm ist eine ehemalige Schülerin des „Instituts“, sondern auch deren jüngere Schwester, ihre Patin sowie ihre Schwiegermutter. Mit seiner offenen, aufgeweckten Art wäre Paul der optimale Werbeträger für das „Institut“. Zumindest bei seiner kleinen Schwester Lina hat sein Enthusiasmus für die Schule schon gefruchtet: Die baldige Viertklässlerin plant jetzt bereits fest damit, in die schulischen Fußstapfen ihres Bruders und ihrer Mutter zu treten.

Melissa Kamm zeigt Sohn Paul, wie es zu ihrer Schulzeit am „Institut“ zuging. Fotos: privat/Scheuenstuhl
Melissa Kamm ist froh über die Entscheidung ihres Sohnes, weniger aus sentimentalen Gründen, sondern vielmehr weil sie Paul einfach gut genug kennt. „Er ist ein absolutes Bewegungskind und keiner, der sich nur in Bücher vertieft“, erklärt sie. Zu den Hobbies des 11-Jährigen zählen Tennis spielen, Cross-Motorrad fahren und in der Wasserwacht aktiv sein. Es ist wichtig, dass Paul noch freie Zeit hat, sagt sie, „ansonsten würde es für ihn und uns nur Stress“ bedeuten. Seit jeher hat das „Institut“ den Ruf, neben dem Lehrstoff auch besonders auf die Vermittlung von Werten und gutem Benehmen zu achten. Man merke schon, dass es eine kleinere Schule mit nur 300 Schülern ist, findet Melissa Kamm. Alle grüßen sich und auch der Kontakt zwischen den Großen und den Kleinen ist vorbildlich. So bekommen die Fünftklässler Tutorinnen aus den 10. Klassen zur Seite gestellt, die sie im übertragenen Sinne an die Hand nehmen und sie mit den völlig neuen Gegebenheiten vertraut machen. Melissa Kamm wechselte 1994 auf das „Institut“, kurz nachdem die Nonnen die Schule verließen. Das Internat blieb bis zur Auflösung des Klosters 1992 unter der Leitung der Schwestern erhalten. Besonders ab der 8. Klasse sei es für Melissa Kamm eine „super Schulzeit“ gewesen. Einerseits hatte man ein fast schon kumpelhaftes Verhältnis zu den Lehrern, so auch zu Hans Kralik, der von 1983 bis 1997 dort Schulleiter war. Andererseits legte man aber auch den nötigen Respekt an den Tag, sagt die gebürtige Schillingsfürs-terin. Und die Lehrer zeigten natürlich auch Grenzen auf, etwa hinsichtlich des Kleidungsstils. So galt gerade auch in den modisch wilden 90ern: Keine kurzen Röcke, kein weiter Ausschnitt und keine bunten Haare.

Mädchen (noch) unter sich auf Melissa Kamms Abschlussfoto ‘97: Zwar nicht in Schuluniform, aber doch züchtig.
Bei Melissa Kamm spielte auch der praktische Aspekt mit in die Entscheidung, auf die Mädchenrealschule zu gehen. „Wir haben damals nur ums Eck gewohnt und ich musste erst um halb acht für die Schule aufstehen“, erzählt sie. Für ihre Mutter bedeutete dies, dass der „ganze Hühnerhaufen“ dann nachmittags bei ihr am Küchentisch saß. Obwohl sich die Schule auch damals in kirchlicher Trägerschaft befand, „war man nicht von früh bis spät am beten“. Man sei zwar zu verschiedenen Anlässen selbstverständlich in die Kirche gegangen, aber es war „nicht übertrieben oft“. Von der 7. bis zur 10 Klasse sang Melissa Kamm begeistert im Schulchor mit. Mit Stenographie konnte man sie jagen, Textverarbeitung hingegen fand sie super. In der 8. Klasse entschied sie sich nicht für den mathematischen, sondern für den hauswirtschaftlichen Zweig. Noch heute hat sie den Ordner mit den gesammelten Rezepten von damals in der Küche stehen, von denen sie das eine oder andere manchmal nachkocht beziehungsweise nachbackt. Die Küche in der Realschule sieht noch genauso aus wie zu ihrer Schulzeit, entdeckte die gelernte Hotelfachfrau kürzlich bei einem Rundgang durch die Schule. Was man seit jeher als erstes mit dem „Institut“ in Verbindung brachte, war die Abwesenheit von Jungen. „Wir Mädchen konnten unter uns einfach anders miteinander reden und offener miteinander umgehen“, ist sich Melissa Kamm sicher. Es habe dadurch nie jemanden gegeben, der etwas oder eine Person ins Lächerliche ziehen wollte. „Wir haben die Jungs nicht wirklich vermisst“, betont sie. Bei offiziellen Feierlichkeiten empfanden es die Schülerinnen vielmehr komisch, wenn Jungen dabei waren. Selbst als Melissa Kamm die Schule schon verlassen hatte, war es seltsam für sie mitzubekommen, wie Jungen bei derartigen Anlässen in der Schule „ein- und ausgingen“. Mit dem Übertritt ihres Sohnes an die Edith-Stein-Realschule ließ sich Melissa Kamm in den Elternbeirat wählen. „Es fühlt sich gut an wieder mit der Schule zu tun zu haben und außerdem kenn ich mich dort noch aus“, erklärt die 35-Jährige. Die ehemalige Mädchenrealschule ist bei manchen auch als „Nonnenbunker“ verschrien. Auch auf den T-Shirts von Melissa Kamm und ihren Klassenkameradinnen zum Schulabschluss 1997 prangte dieser Name. „Wir empfanden ihn aber nicht als Schimpfwort, sondern als Spitzname“, beteuert sie.
Alle haben sich als wirkliche Schulfamilie verstanden. Man sei schon irgendwo „stolz darauf“ gewesen diese Schule zu besuchen, weil man sich dort auch „gut aufgehoben gefühlt“ hat. Es herrschte ein großer Zusammenhalt und Respekt zwischen den Schülerinnen, aber auch zwischen Schülerinnen und Lehrern. „Dass uns ein Lehrer ärgern oder in die Pfannen hauen wollte, gab es nicht“, betont Melissa Kamm. Die meisten ihrer Mitschülerinnen waren am Tag nach der emotionalen Abschlussfeier noch in der Schule und haben von sich aus bis zuletzt beim Aufräumen geholfen. „Das macht man nicht, wenn man die Schule nicht mag“, findet Melissa Kamm. Hinzu kam wahrscheinlich auch, dass man den unvermeidlichen Abschied von liebgewonnenen Freundinnen so lange wie möglich hinauszögern wollte. mes
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