Solidarität statt Almosen
Weltladen tritt ungerechten Handelsstrukturen mit fairen Produkten entgegen
ROTHENBURG – Weihnachten, das Fest der Feste, an dem man sich auf Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe, Toleranz und Mitgefühl besinnt. Doch was ist an den anderen 364 Tagen im Jahr? Um die Sorgen und Nöte der Menschen im direkten Umfeld mag man sich da gerade noch so kümmern können. Aber wie soll man im Trubel des Alltags noch Zeit und Energie aufbringen über den Tellerrand hinauszublicken? Zum Glück gibt es mindestens einen Ort in der Tauberstadt, an dem man immer die Möglichkeit hat, Solidarität und Gerechtigkeit in die Tat umzusetzen – und das seit fast 25 Jahren: im Weltladen an der Jakobskirche.

Hedwig Plodeck, Gertrud Mielke-Wildermann und Axel Pauli setzen sich mit ihren Mitstreitern für fairen Handel ein.
Derjenige, der das geflügelte Wort „die Welt ist bunt“ zum ersten Mal in den Mund genommen hat, könnte dazu durchaus beim Besuch eines Weltladens inspiriert worden sein. Das Grau der Steinfassade ist zwar eher ein trister erster Eindruck, den man von dem „Fachhandel für faire Waren“ in der Klostergasse bekommt. Doch schon im Vorraum beginnt die bunte Reise um den Erdball und zu den verschiedensten Menschen, auf die die westliche Dominanz in der Weltwirtschaft eine verheerende Auswirkung hat. An einer Schnur hängend reihen sich Tragetasche um Tragetasche mit den Logos ausländischer Marken aneinander – „upcycling“ nennt man diese Form der Wiederverwertung, bei der Abfallprodukte, wie in diesem Fall alte Reissäcke aus Indien, in neuwertige Produkte umgewandelt werden. Schräg gegenüber lässt schon Afrika grüßen: Zebra, Kraniche, Elefanten und spektakuläre rot-gelbe Sonnenuntergänge wurden auf kunstvollen Karten verewigt – zusammen mit einer persönlichen Unterschrift des Motivgebers. Die Rothenburger Weltladen-Bewegung hat ihren Ursprung im Schrank von Pfarrer Hans-Jörg Meyer, erinnert sich Axel Pauli, Erster Vorsitzender des Trägervereins „Dritte-Welt-Partner Rothenburg. Dort lagerte der Geistliche nämlich Anfang der 90er Jahre bereits fair gehandelte Waren, die man etwa nach Gottesdiensten kaufen konnte. 1992 wurde dann der Verein gegründet und ein Jahr später bezog der Weltladen das zur Kirchengemeinde St. Jakob gehörende Gebäude in der Klostergasse 20. Insgesamt 20 Verkäuferinnen kümmern sich ehrenamtlich darum, dass das umfangreiche und vielseitige Warensortiment ansprechend in Szene gesetzt und den Kunden näher gebracht wird. Seit den Anfängen mit dem berühmt-berüchtigten Nicaragua-Kaffee, der eine ganz eigene Note innehatte, hat sich insgesamt das Angebot an fair gehandelten Produkten in Qualität und auch Quantität deutlich gesteigert.

Ob Spielzeug aus Abfall oder Musikinstrumente aus Naturmaterial, im Weltladen finden sich viele kleine Besonderheiten. Fotos: Scheuenstuhl
Neben den immer noch sehr beliebten Lebensmitteln wie Kaffee, Tee und Schokolade sowie den Weltladen-typischen Skulpturen aus Speckstein findet sich so ziemlich für jeden Geschmack etwas in den Regalen: bunt bemalte Holzkreuze, kreative Musikinstrumente aus Abfall, Klangschalen, handgefertigte Schmuckstücke, afrikanische Schnitzkunst sowie Steppengrastaschen aus Ghana und viele weitere außergewöhnliche und einzigartige Produkte. Eine kleine Weltladen-Filiale gibt es auch im Wildbad. Zudem bezieht die Tagungsstätte Kaffee und Schokolade unter anderem auch von dem Fairhandel-Fachgeschäft. Mittlerweile hat „fair trade“, so die gebräuchliche englische Bezeichnung, auch Einzug bei Discountern gehalten. Axel Pauli kann dieser Entwicklung etwas Positives abgewinnen, denn so werde das mit den Produkten verbundene Anliegen in die Breite getragen. Auch wenn vielleicht das Päckchen Kaffee, für dessen Rohstoffe die betroffenen Kleinbauern einen gerechten Preis bekommen, neben der subventionierten Hühnerbrust aus einem hochtechnologisierten Mastbetrieb im Einkaufswagen landet – ein kleines bisschen mehr Bewusstsein für alternative und sozialverträgliche Herstellungsbedingungen ist dennoch geschaffen. Der Weltladen hingegen, der nicht gewinnorientiert arbeitet, legt besonderen Wert darauf, die „reine Lehre“ des fairen Handels zu bewahren, so Axel Pauli. Die Verkäuferinnen sind deshalb auch bestens darüber informiert, nach welchen Kriterien die Produkte hergestellt werden müssen, um als „fair“ zu gelten und welche positiven Auswirkungen die damit einhergehende Achtung von Sozial- und Arbeitsstandards auf die jeweiligen Produzenten hat. Dieses Wissen teilen sie mit den Kunden, wie es ihnen die Konvention des Weltladen-Dachverbandes auch vorgibt. Die europäische Fairhandelsbewegung entstand in den 1960er Jahren als Gegenentwurf zum Neoimperialismus. Ihr Ziel ist es, einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten – gemäß des Leitspruchs „Handel statt Hilfe“. Mit einer auf Dialog, Transparenz und Respekt beruhenden Handelspartnerschaft sollen die Sicherung sozialer Rechte und bessere Handelsbedingungen für benachteiligte Produzenten und Arbeiter insbesondere in Entwicklungsländern erreicht werden.
Kleinproduzenten, die sich bislang als Einzelkämpfer durchschlagen musste, können nun in Genossenschaften eintreten. Diese verkaufen die Produkte und Waren direkt an sogenannte Importgesellschaften, die vom Weltladen-Dachverband zertifiziert und dadurch verpflichtet sind, die Einhaltung der Kriterien für den fairen Handel im ganzen Arbeits- und Herstellungsprozess zu kontrollieren. Die Importgesellschaften zahlen den Kleinproduzenten festgelegte Preise über dem Weltmarktpreis und stellen darüber hinaus auch einen Beitrag für soziale Projekte zur Verfügung. „Früher waren die Kleinproduzenten den Zwischenhändlern ausgeliefert“, erklärt Axel Pauli, der sich Anfang der 90er bei einer Reise ins Rothenburger Partnerdekanat in Tansania direkt vor Ort über die Einkommensbedingungen von Kaffeebauern informierte. Er sei „erschüttert“ gewesen, was sie für ihre sehr harte Arbeit lediglich bekommen. Zweite Vorsitzende Hedwig Plodeck betont die soziale Komponente dieser alternativen Handelspartnerschaft. Durch die festen Preise können die Kleinbauer besser kalkulieren und investieren. Zudem können Projekte finanziert werden, die es ermöglichen, dass etwa Kinder zur Schule gehen und Frauen gefördert werden. „Die vorherrschenden Handelsstrukturen müssen grundlegend verändert werden“, ist sich Axel Pauli sicher. Europa und Amerika seien im freien Handel „immer im Vorteil“. Wenn Menschen aber keine Existenzgrundlage mehr in ihrer Heimat haben, werden sie sich als Wirtschaftsflüchtlinge nach neuen Optionen umschauen. mes
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