„Aufgeben ist keine Option“

Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit zeigen sich besorgt über parteipolitisches Agieren

ROTHENBURG – In Rothenburg geben vier Ehrenamtliche, Nicole Weis, Doris Pelzeter, Jeannine und Ruthild Centmayer, seit drei Jahren mehreren jungen Flüchtlingen Nachhilfeunterricht. Sie haben das minderjährige Alter überschritten und werden deshalb nicht mehr in der Gipsmühle von der Diakonie betreut. Im Moment wird die Geduld von ihnen allen auf eine schwere Probe gestellt, weil ihre Schützlinge völlig in der Luft hängen, obwohl nicht alle aus sogenannten sicheren Herkunftsländern kommen.

Jeannine Centmayer (v.li), Doris Pelzeter, Ruthild Centmayer und Nicole Weis. Foto: sis

Während junge Leute aus Syrien oder Eritrea, die als Flüchtlinge an­erkannt werden, ihre Spracheinführungsphase abgeschlossen haben und nun gerade dabei sind, Berufe zu erlernen, stehen andere junge Flüchtlinge vor dem Nichts. Sie haben enorme Anstrengungen gemacht, eine für sie sehr schwierige Sprache zu erlernen, Lücken in ihren Mathematikkenntnissen zu schließen und Fehlendes mit großem Fleiß nachgelernt. Sie haben sich integriert, wo es ging und nun stehen sie vor einem Vakuum. Sie dürfen keine Lehre beginnen, ja nicht einmal ein Praktikum machen!

Die vier Ehrenamtlichen, die die jungen Leute drei Jahre begleitet  haben, fragen  sich, warum die Politik auf halber Strecke stehen bleibt und den Flüchtlingen letztendlich jegliche Zukunftsperspektive verwehrt. „Warum dürfen diese jungen Menschen jetzt keinen Beruf ergreifen? Noch dazu solche Berufe, in denen dringend Leute benötigt werden?“ Für Jemanden mit gesundem Menschenverstand sei diese Situation unverständlich.
Weil die vier Rothenburgerinnen das Schicksal der jungen Flüchtlinge nicht unberührt lässt, schildern sie deren Umstände. Zum Schutz der jungen Leute, verzichtet die Redaktion auf die Namensnennung. A. ist seit drei Jahren in Deutschland. Er kommt  aus einem Land an der Westküste Afrikas und war Analphabet. ln seinem Land ist Französisch Amtssprache. Deshalb haben Nicole Weis und Jeannine Centmayer, beide Französinnen, die schon lange Jahre in Deutschland leben, mit ihm Deutsch gelernt und sein Französisch verbessert.
Der junge Mann hat inzwischen solche Fortschritte gemacht, dass er problemlos mündlich  und schriftlich kommunizieren kann. Er hat in mehreren  Berufspraktika  bewiesen, dass er handwerklich begabt ist und sich in ein Team positiv integrieren kann. Nach erfolgreichem Abschluss der Integrationsklasse geht für ihn nichts mehr weiter. Eine Lehrstelle in der Gastronomie durfte er nicht antreten. Ein weiteres Praktikum wurde ihm verboten. Nun macht er weiter Deutschkurs und wartet  darauf, die Erlaubnis für eine Berufsausbildung zu bekommen. Wie lange noch?
Ruthild Centmayer kümmert sich um einen jungen Mann, der aus dem Iran über die Türkei nach Deutschland flüchtete, nachdem seine Kontakte zu christlichen Gruppen der Polizei verraten worden waren. Seine Familie brach den Kontakt ab. Er kam nach einigen Zwischenstationen nach Rothenburg, wo er zunächst in einer Integrationsgruppe Deutsch lernte. Der junge Mann konnte in die Mittelschule wechseln und machte dort seinen Abschluss. Ruthild Centmayer begleitete ihn dabei.
Da sein Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, darf er keine berufliche Ausbildung beginnen. Was soll er tun? Er kann als Christ nicht zurück in seine streng muslimische Famlie und hier darf er trotz guter Deutschkenntnisse und mit einem ordentlichen Schulabschluss keine Arbeit aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Gut ausgebildet
Doris Pelzeter hat einen jungen Mann aus Afghanistan unter die Fittiche genommen. Er ist ebenfalls seit drei Jahren in Deutschland. Er spricht inzwischen perfekt Deutsch und schreibt fast fehlerfrei. „Ich würde sagen, besser als ein durchschnittlicher junger Deutscher“.  B. hat seine Ausbildung als Krankenpflegehelfer mit „gut“, in der Praxis sogar mit „sehr gut“ abgeschlossen. Er ist in das Rothenburger Leben integriert, hat Freunde, spielt im Fußballverein, gehört zur Freiwilligen Feuerwehr und macht sogar beim Festspiel mit.
„Mehr Integration geht nicht“, sagt Doris Pelzeter. Aber seit einem Jahr stagniert sein Leben. Er darf seine Berufsausbildung nicht weiterführen, er darf nicht arbeiten und nicht einmal ein Praktikum machen. Obwohl Afghanistan laut Einschätzung des Weltflüchtlingsrats als nicht sicher gilt, bekommt  der junge Mann trotzdem keine Anerkennung als Flüchtling. „Es ist eine sinnlose Ressourcenverschwendung, die da passiert“, kritisiert die Rothenburgerin. „Die jungen Flüchtlinge integrieren sich mit großem Aufwand jahrelang, die Helfer setzen ihre Arbeitskraft in vielen Stunden ein, Steuergelder werden gezahlt, die Arbeitsplätze  sind frei, es werden dringend Leute benötigt – und dann – Hinhaltetaktik, Entmutigung“. Für sie ist das unbegreiflich:  „Wem nützt das?“ Nachhaltigkeit  und intelligentes Handeln sehen nach ihrer Meinung anders aus.
Die vier engagierten Frauen hoffen inbrünstig, dass bald eine Kehrtwende  in der Flüchtlingspolitik erfolgt, was die Behandlung der seit Jahren hier lebenden und integrierten jungen Leute betrifft. „Der Umgang mit Flüchtlingen darf nicht mehr Spielball der Parteipolitik sein“. Die Rothenburgerinnen sind ehrenamtlich tätig geworden in einer Zeit, als in Deutschland der Begriff der Willkommenskultur geprägt wurde. „Diese Kultur gibt es immer noch, auch in unserer Stadt machen viele Ehrenamtliche seit Jahren gute Arbeit, während eine Reihe ‘christlicher’ Politiker das Klima Flüchtlingen gegen­über vergiften und diese humane Aufgabe für Macht­ und Parteiinteressen negativ besetzen“.
Auch wenn es die Flüchtlingsunterkunft in der Gipsmühle nicht mehr gibt, leben diese jungen Menschen weiter  in der  Nähe mit den gleichen Sorgen und Nöten: „Sie brauchen uns mehr denn je. Es ist die beste Entwicklungshilfe, sie jetzt gut auszubilden“. Aufgeben – so das Credo der Rothenburgerinnen – ist daher keine Option. sis

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