Klettern ist beliebt wie nie zuvor

Rothenburger Alpenverein muss aber weiter ohne Boulderraum auskommen

ROTHENBURG – Einst war es das ultimative Abenteuer: Allein an einer steil aufragenden Felswand versucht der Mensch die Gesetze der Physik und seine eigenen Grenzen zu verschieben. Heute sind Klettern und Bouldern Trendsportarten. Die Wettkämpfe erfreuen sich wachsender Zuschauerzahlen. Kletter- und Boulderhallen schießen deutschlandweit wie Pilze aus dem Boden – mit einer Ausnahme.

Der Steinbruch ist im Sommer ein beliebtes Ziel für kletterbegeisterte Rothenburger. Fotos: privat

Es wäre die Gelegenheit für die Tauberstadt gewesen, auch einmal am Puls der Zeit zu sein. Doch mit der Umstrukturierung des Schlachthof-Areals waren die Tage des Boulderraums der örtlichen Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV) bis auf Weiteres gezählt. Die alternativen Standorte, die von der Stadt vorgeschlagen wurden, stellten sich als nicht passend heraus. Nicht einmal ausreichend Platz, um die abgebaute Boulderwand komplett einzulagern, konnte sie dem Verein beschaffen. „Wir sind sehr dankbar für die vielen privaten Angebote für einen neuen Boulderraum“, sagt DAV-Sektionsvorsitzender Felix Puchinger. Doch diese waren durch die Bank ebenfalls nicht geeignet, weil sie entweder zu klein oder zu groß waren. „150 Quadratmeter Fläche wären super“, so der Fachinformatiker, der im Alter von 16 Jahren über einen Freund zum Klettern kam.
Da ein Neubau für den Verein nur schwerlich zu stemmen wäre, müssen sich die rund 40 Kinder, die bislang in Rothenburg die Indoor-Felsblöcke (englisch: boulder) erklommen haben, anderweitig umsehen. Die nächstgelegene Boulderhalle ist in Burgoberbach. Weitere Alternativen sind das „Café Kraft“ in Nürnberg oder das DAV-Kletterzentrum in Würzburg. Ein Hoffnungsschimmer am Horizont: Eine DAV-Sektion plant in Bad Windsheim an einer Schule eine kleine Kletterwand samt Boulderbereich zu errichten.
Immerhin besteht für kletterbegeisterte Rothenburger zumindest in den Sommermonaten mit dem Steinbruch  eine Möglichkeit vor der Haustür ihrer Leidenschaft nachzugehen. Die in den letzten 20 Jahren immer ausgebuchten Angebote im Rahmen des Ferienprogramms zeigen, dass bei der jungen Generation ein großes Interesse am Klettern herrscht.
„Hauchdünn besiedelt“ 
Für den Verein war die Schließung des Boulderraums ein harter Schlag. Nicht nur, weil das Angebot an sich wegfiel. Im Zusammenhang mit dem Bouldern haben viele jugendliche Vereinsmitglieder einen Betreuerschein gemacht, erklärt Felix Puchinger. Im Steinbruch seien jetzt aber nur noch die ganz Jungen oder die Älteren ab 30 Jahren aktiv. Das Altersspektrum ab 15 Jahren sei nur noch „hauchünn besiedelt“. Aber um in einem Verein „motiviert Sport zu machen“, brauche man „die Jungen ebenso wie die ‘alten Hasen’“, ist der Vorsitzende überzeugt.
Wer sich selbst einmal an die Senkrechte wagen möchte, braucht für den Anfang erst einmal gar nichts zu investieren, sagt Felix Puchinger. Gurte, Seile und Helme sind im Steinbruch ausreichend vorhanden. Lediglich gut sitzende Sportschuhe seien mitzubringen. Es ist auch nicht nötig, dass man bereits die Sportskanone vor dem Herrn ist. Beim Klettern stellen sich nämlich sehr schnell Fortschritte ein – gerade bei Kindern.
„Wenn ich diese Übung mache, kann ich mich in diesem und jenem Bereich verbessern“, lautet die einfache Gleichung dafür. Als erfahrener Kletterer, der privat mit seiner Frau sonst jedes Wochenende im Ötztal, Blautal, Donautal oder der Fränkischen Schweiz klettern war, rät Felix Puchinger Einsteigern, es am  Anfang nicht zu übertreiben. Mit Körpergewichtsübungen (neudeutsch: Calisthenics) wie Klimmzügen lassen sich zwar schnell Muskeln aufbauen. Doch die Sehnen können nicht so schnell mitwachsen, wodurch es zu Verletzungen kommen kann.
Höhenangst ist wohl das am häufigs­ten genannte Argument, um es nicht mit dem Klettern zu versuchen. Felix Puchinger weiß, dass es sich dabei meist aber nur um „gesunden Respekt“ vor der Höhe handelt, die man auch haben sollte. Spätes-tens wenn man dann beim Klettern an der Wand ganz in der Konzentration drin ist, lasse die vermeintliche Angst auch nach.
Beim Klettern passieren aufgrund der umfassenden Sicherheitsvorkehrungen selten Unfälle, so der Sektionsvorsitzende. Dies sehe im Alpinismus, wo man Schwierigkeitsgrad und damit die Gefahr bei einer Route bewusst wählt, schon ganz anders aus. Viele betreiben Klettern und Bouldern als Freizeitsport. „Ist das Wetter schön, dann geht man raus in die Natur“, sagt Felix Puchinger. Es gebe keinerlei Zwang, sich nach einem bestimmten Termin oder nach einem Kletterpartner zu richten.

Wie wandern am Seil: Ein derartiger Klettersteig ist ideal für die nicht ganz so Wagemutigen.

Entwicklung in andere Richtung

Die Ursprünge des Kletterns liegen in dem Entdeckungsdrang des Menschens, auf einen Berg zu steigen und  sich auf ein Abenteuer einzulassen. Die Idee, sich dabei an einem menschlichen Gegner zu messen – der wie man selbst eine bestimmte Tagesform hat – kam niemanden in den Sinn. Doch wie viele andere Sportarten, die sich in ihren Anfängen vor allem in einem bestimmten Lebensgefühl ausdrückten (etwa Snowboarden), so kam auch das Klettern irgendwann an einen Punkt, wo es in eine andere Richtung ging.
In den 1950er und 60er Jahren war das Klettern noch sehr alpinistisch geprägt. Die Technik, um die geraden Wände hochzukommen, stand im Vordergrund. Ab den 90er Jahren erreichten die bislang gängigen glatten Wände bei den Bewertungen das Ende. Die Touren wurden dadurch immer überhängiger, erklärt Felix Puchinger. Die Athleten mussten sich als Konsequenz darauf in ihrer physischen Verfassung breiter aufstellen. Dynamik, Beweglichkeit und Athletik stehen nun im Mittelpunkt ihres Trainings. Damit zählt das Klettern heute zu einer der ganzheitlichsten Sportarten.
Mentale Stärke entscheidet
Der Sport wurde auch dank der Wettkämpfe immer publikumswirksamer. Mit immer neueren Modifikationen (etwa kleineren Griffen und dergleichen) wollte man den Zuschauern immer aufregendere Bilder bieten. Die Spitzenathleten seien auf einer so hohen Ebene des Könnens, sagt Felix Puchinger, dass letztlich vor allem die mentale Stärke über Sieg oder Niederlage entscheide.
Den „Ritterschlag“ in Sachen medialer Massentauglichkeit bekam das Sportklettern 2016 als das Internationale Olympische Komitee beschlossen hat, es ab der Spiele in Tokio 2020 ins olympische Programm mitaufzunehmen. Eine Entscheidung, die nicht bei allen Sportlern Begeisterungsstürme hervorrief. David Lama beispielsweise, der Topkletterer aus Österreich, befürchtet, dass sich der Sport dadurch noch weiter von seinem Kern entfernt.
Mit voraussichtlich Adam Ondra und dem Erlanger Alexander Megos werde man aber dennoch eine hochkarätig besetzte Premiere erleben. Als Hallendisziplin, um gleiche Bedingungen für alle Athleten bieten zu können, wird der Wettkampf im Kombinationsformat, bestehend aus  Lead (Vorstiegsklettern), Bouldern und Speed, ausgetragen. mes

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