Die richtige Strategie

Arbeit oder Leben: „Work-Life-Balance“ statt Alltagstrott

ROTHENBURG – Zu den vielen in Mode gekommenen Begriffen für das Wohlbefinden gehört neben der Wellness und dem Burn-out auch die Work-Life-Balance. Gemeint ist das Bemühen, die Arbeit und das Leben in ein akzeptables Gleichgewicht zu bringen. Es gibt eine Menge Menschen, die mit dem Gefühl leben, nicht am richtigen Platz zu sein und mit der Sorge, das wahre Leben laufe doch eigentlich anderswo ab. Wie kann man das, was sein muss, mit dem, was wichtig und gut ist, vereinbaren? Ein Frauenabend in der Reichsstadthalle.

Freizeit als lebenswerte Zeit, in denen die Pflichten des Alltags wegfallen und man endlich tun kann, was das Leben schön macht: abhängen, faulenzen, Sport treiben, Abenteuer erleben, Kultur erkunden oder gemütlich zu Hause sitzen und ein Glas Wein trinken. Zu Ende gedacht, bedeutet das: Der arbeitende Mensch lebt nicht, sondern erwacht nur phasenweise zum Leben, wenn er sich gerade auf der richtigen Seite der Work-Life-Balance befindet.

In der hochindustriealisierten, au­to­mati­sier­ten und produktiven Gesellschaft überfrachten berufstätige Menschen, aber auch Schulkinder, junge Heranwachsende, Hausfrauen oder Rentner ihr Denken mit überzogenen Vorstellungen und Erwartungen. Weibliche Führungskräfte der VR-Bank Rothenburg veranstalteten ein „Event für die Frau“ und warben mit den Faktoren „Genuss“ und „Zeit“ für ein „unvergessliches Erlebnis“ mit Musik von Chico Diaz und seinem „Orquesta Salsaborr“, erfrischenden Getränken, Häppchen und Bedientwerden. Früher war das Essen im Stehen ein Gebot der Eile, und man nannte es Imbiss. Heute heißt es „Flying Buffet“ oder „Fingerfood“ und es gilt als schick.

Wie Frauen, die bewegen, in Bewegung kommen, ihre Vorstellungen entwickeln und in praktische Arbeit umsetzen, während sie gleichzeitig ihren inneren Schweinehund überwinden, erzählten die hochdekorierte Weitspringerin Heike Drechsler, die seit Jahren für eine Krankenkasse im Bereich Gesundheitsmanagment arbeitet, und Elisabeth Pötschke, Mitarbeiterin einer der größten Versicherungsgesellschaften, die zur genossenschaftlichen Finanzgruppe der Volksbanken und Raiffeisenbanken ge­hört.

Noch immer sportlich: Heike Drechsler. Fotos: Schäfer

Noch immer sportlich: Heike Drechsler. Fotos: Schäfer

Die „Freiraum-Referentin“ mit Schwerpunkt Absicherung und Vorsorge zeigte den rund dreihundert Zuhörerinnen auf, wie sie die richtige Strategie entwickeln, um auch im Alter genügend Geld für die schönen Dinge des Lebens zu haben und im Pflegefall Einbußen an Lebensqualität und am Vermögen gering zu halten. Die finanzielle Absicherung mit einer Ehe ist ein unsicheres Konstrukt. Inzwischen lassen sich auch ältere Paare scheiden.

Promifrau Heike Drechsler (48) hat Geschichte geschrieben. Als 15-Jährige gewann die gebürtige Thüringerin mit ihrem Weitsprung über die sieben Meter Marke die Junioren-Europameisterschaft. Das Goldkind absolvierte nach dem Abitur eine Feinmechanikerlehre für optische Instrumente und studierte Pädagogik. Sportlich entwickelte sie sich zur Königin der Leichtathletik. Sie wurde zweimal Weltmeisterin, fünfmal Europameisterin und gewann 19 internationale Titel. Ein deutsch-deutsches Kapitel mit vielen Brüchen, dem sie ein Happyend abrang.

Der Sport half ihr immer wieder über Schicksalsschläge und Durststrecken. Die Kindheit war überschattet vom Tod des Vaters, der nach einem Sturz aus einer Rummelplatzschaukel starb. Die Mutter brachte sie und ihre Geschwister als Schichtarbeiterin durch. In DDR-Sportschulen wurde das von der SED geförderte Talent auf Weltstandard getrimmt und mit 18 Jahren jüngste Weitsprungweltmeisterin und eine gefeierte Sportlerin Sie fühlte sich glücklich unter einer Glocke. Wie viele andere privilegierte Leistungsträger in der DDR, gehörte sie der Frei­en Deutschen Jugend (FDJ) an und zog mit 22 Jahren als SED-Abgeordnete ins Scheinparlament in Ostberlin ein. Sie war Teil eines Systems, in dem manipuliert, überwacht und sogar Spitzel bespitzelt wurden. Aus ihrer Famillie musste jemand wegen Republikflucht ins Gefängnis. Erst nach der Wende hat sie richtig begriffen, wie die Stasi gearbeitet hat.

Ihre sportlichen Erfolge gaben ihr Selbstbewusstsein. Die junge Frau lernte aufzumucken. Sie musste Druck und Krisensituationen aushalten. Nicht nur als Hochleistungsportlerin, sondern auch als Ehefrau und Mutter. Sie durchlebte eine Scheidung, kämpfte um das Sorgerecht für ihren Sohn und stand auch mit ihrem späteren Partner vor den Scherben ihrer Beziehung. Stasi- und Doping-Vorwürfe drohten ihre Lebensleistung zu zerstören. Heike Drechsler biss sich durch, rappelte sich wieder auf. Am 29. September 2000 im Olympiastadion in Sydney wusste sie, es hat sich gelohnt. Da wurde sie zum zweiten Mal Olympia­siegerin. Unter kontrollierten Bedingungen und unzähligen Dopingkontrollen erbrachte die damals 35-Jährige ihre Leistung nach hartem Training. 2004 beendete sie ihre sportliche Karriere und verdient ihr Geld als gefragte Referentin für Seminare, Vorträge und Unterneh­mens­veranstaltungen.

Bei ihrem Auftritt in Rothenburg sprach die hochgewachsene blonde Leichtathletik-Ikone lediglich von „Höhen und Tiefen“ in ihrem Leben, ohne näher darauf einzugehen. Mit ihrem bewegten Leben als Kämpferin könnte sie anderen Mut machen, aber auch aufrütteln, dass nicht immer das wirklich ist, was man sieht. Vielleicht hätte sie damit mehr erreicht, als mit ihrer Empfehlung für Atem- und Lockerungsübungen als Rezept, sich auf sein Inneres zu konzentrieren. sis

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