Glücklich auch ohne Kontrabass
Die Musik ist der rote Faden im Leben der jungen Kantorin Ljubow Grams
ROTHENBURG – „Mach was dein Herz dir sagt“, lautete der weise elterliche Rat an die Tochter, die sich nach dem Abitur über ihre Berufswahl Gedanken machte. Für Ljubow Grams war klar, dass sie nur in der Musik ihre Erfüllung findet. Heute ist sie studierte Kirchenmusikerin und absolviert gerade im Dekanat Rothenburg ihr Praxisjahr. Mit dieser Stelle hat sich für die 30-Jährige ein kleiner Kindheitstraum erfüllt.
Hätte ihr zwei Jahre älterer Bruder eine brennende Leidenschaft für Fußball entwickelt, vielleicht wäre Ljubow Grams heute Nationalspielerin. Stattdessen begann er Orgel zu spielen. Für die kleine Schwester Grund genug sich ebenfalls an dem Tasteninstrument zu versuchen. „Was mein Bruder macht, mache ich auch“, war nämlich ihr Motto. So kam sie mit 11 Jahren nicht nur zum Orgelspielen, sondern ahmte schon als Kindergartenkind die Leseübungen ihres Bruders heimlich unter dem Tisch nach.
Ljubow Grams musste aber erst mit ihrem Vorspiel Kirchenmusikdirektor Wolfgang Stetter in Feuchtwangen überzeugen, bevor er sich dazu entschloss, sie ebenfalls zu unterrichten. „Kann man was draus machen“, war sein Fazit. Mit 14 Jahren durfte sie dann ihren ersten Gottesdienst spielen und später auch die Vertretung ihres Lehrers übernehmen.
Ihre musikalische Karriere zeichnete sich schon früh ab. Mit vier Jahren begann sie in ihrer Heimat Kasachstan Klavier zu lernen. Den Eltern sei es immer wichtig gewesen, dass ihre drei Kinder einen Zugang zur Musik entwickeln. Das erste richtige Möbelstück, das sich die Familie nach ihrem Umzug nach Deutschland zulegte, war deshalb ein Klavier, erinnert sie sich. Als Ljubow Grams neun Jahre alt war, kamen sie zunächst nach Nürnberg, lebten für kurze Zeit auch in Wolfsau und ließen sich letztlich in Feuchtwangen nieder.
Zwar spielt auch die Mutter Klavier, doch beruflich neigt man bei Familie Grams eher zum technischen Bereich. Die Eltern sind Ingenieure und der Bruder hat Luft- und Raumfahrttechnik studiert. Ljubow Grams selbst belegte Mathemathik und Physik als Leistungskursfächer auf dem Gymnasium. Bei der Berufswahl ließen die Eltern ihr freie Hand. Auch bei dem Thema Religion konnte sie ihre eigene Entscheidungen treffen.
Über die Orgel zum Glauben
Erst über das Orgelspielen sei sie zum Glauben gekommen, erzählt sie. Mit 14 Jahren ließ sie sich taufen und konfirmieren. Heute glaubt sie „mit voller Überzeugung“. Deshalb entschied sie sich letztlich auch dafür, Kirchenmusik zu studieren und sich doch nicht ausschließlich auf das Klavier zu konzentrieren. Die Orgel hätte sie sonst aufgeben müssen, doch diese gehe für sie untrennbar „mit dem Glauben einher“.
Wolfgang Stetter gab ihr den Tipp sich einmal bei der Hochschule für evangelische Kirchenmusik in Bayreuth umzuschauen. Auf Anhieb gefiel es ihr dort. Vor allem die optimalen Übungsmöglichkeiten (7 Orgeln, 3 Cembali, 28 Flügel und Klaviere) machten die Hochschule in kirchlicher Trägerschaft, deren Abschlüsse staatlich anerkannt sind, besonders attraktiv. „Das komplette Paket hat gepasst“, begründet Ljubow Grams ihre Entscheidung.
Ihre Aufnahmeprüfung bestand aus einzelnen Tests in den Bereichen Singen, Dirigieren, Gehörbildung und allgemeine Musiklehre. Zudem musste sie auf Klavier und Orgel jeweils ein vorbereitetes Stück und eines vom Blatt spielen. Vier Jahre verbrachte sie in der Wagner-Stadt, bis sie 2011 ihr sogenanntes B-Diplom in Kirchenmusik in der Tasche hatte. Ihre Schwerpunkte waren Kinderchorleitung und Popularmusik.
Das Umfeld an der Hochschule ist sehr familiär. In ihrem Jahrgang waren es nur sieben und auf der Hochschule zeitweise insgesamt nur 35 Studenten. Als „göttlich“ beschreibt sie das Angebot an Kultur und Konzerten in der Stadt. Auch wenn sie kein ausgewiesener Wagner-Anhänger ist, wie sie betont.
Im Rahmen eines dreiwöchigen Praktikums verschlug es die damals noch angehende Kirchenmusikerin auch nach Rothenburg. Damit sei für sie ein „kleiner Kindheitstraum in Erfüllung“ gegangen, verrät Ljubow Grams. Als 11-Jährige besuchte sie einmal mit ihren Eltern die Jakobskirche und war sofort beeindruckt: „Wenn ich hier einmal spielen dürfte, wäre das toll.“
„Sehr viel Disziplin“
Nach dem Diplom blieb sie Bayreuth zunächst aber treu und erweiterte ihre Qualifikationen mit den Aufbaustudiengängen „Diplommusiker im Fach Dirigieren“, „Diplommusiklehrer im Fach Klavier“ und „Diplommusiklehrer im Fach Popularmusik“. Es sei für sie eine „große Herausforderung“ gewesen diese drei Weiterbildungen parallel durchzuziehen. Es brauchte „sehr viel Disziplin“, um alles unter einen Hut zu bringen und dabei noch gute Leistungen abzuliefern.
Für Ljubow Grams stand von Anfang an fest, dass wenn sie ein Praxisjahr macht, dies in Rothenburg sein muss. Denn auf der Rieger-Orgel zu spielen ist „toll“ und die Akustik in St. Jakob „ein Traum“. Ebenso begeistert war sie von Kantor Ulrich Knörrs Art zu Arbeiten und wie herzlich sie von allen hier aufgenommen wurde. Das hochschulunabhängige Praxisjahr ist nötig, um als Kirchenmusiker in Bayern anstellungsfähig zu sein.
Konstruktive Kritik
Im Arbeitsalltag heißt das für sie, dass sie „überall mal hineinschnuppern“ und auch Teile selbst übernehmen darf und darauf konstruktive Kritik bekommt. Vom Gottesdienst spielen über Orgelschülern Unterricht geben bis zur Chorbegleitung am Klavier und weiteren Tätigkeiten erstreckt sich ihr Aufgabenbereich.
Als wäre damit nicht schon ein großer Teil ihres Lebens mit Musik ausgefüllt, ist sie gerade dabei ein Kindermusical zu schreiben, für das ab Mai die Proben beginnen sollen. Zudem ist sie festes Mitglied des Frauenliteratursalons der Volkshochschule Bayreuth, wo sie sich vor allem mit der Vertonung von Gedichten befasst. „Es gibt viel in meinen Kopf, was raus muss“, erklärt sie ihre schier unermüdliche Umtriebigkeit. Und sie fügt lachend hinzu: „Aber es ist noch nicht zwanghaft.“ Aus allem etwas entstehen lassen, erfinden, verändern und das vor allem im Zusammenhang mit der Musik ist ihr ganz persönlicher Antrieb. Ihre Begeisterung für ihre bisherigen und zukünftigen Projekte ist ansteckend.
Ihren Emotionen verschafft sie durch das Musikspielen ein Ventil. Neben Klavier und Orgel hat sie Schlagzeug und Gitarre gelernt und auch Geige und Querflöte ausprobiert. Im Moment fängt sie wieder mit Trompete an und freut sich, dass es nach der langen Pause noch so gut klappt. Gerade für das Dirigieren sei es wichtig zu wissen, wie die verschiedenen Instrumente funktionieren. „Unheimlich fasziniert“ habe sie auch schon immer der Kontrabass. Allerdings, so schmunzelt sie ein wenig, sei sie dafür wohl „zu klein und zu schwach“.
Die Entscheidung, ob sie einmal in den kirchlichen Dienst geht oder doch eher an einer weltlichen Institution tätig sein wird, vertagt Ljubow Grams allerdings noch etwas. Nach dem Ende ihres Praxisjahrs im nächsten März hat sie erst einmal einige musikalische Projekte in Planung, unter anderem die Leitung der „Cantabile Chorwerkstatt Bayreuth“.
Danach wird sie zum Wintersemester an der Universität Bayreuth den wissenschaftlichen Masterstudiengang „Musik und Performance“ beginnen. Während ihres Kirchenmusikstudiums kam sie mit dem Musiktheater in Berührung, stand selbst schon auf der Bühne und führte bei einem Kindermusical Regie.
Tanz als Bühnenvorbereitung
„Ich möchte in diese Richtung weitergehen, zumal der Studiengang auch für eine kirchenmusikalische Stelle Vorteile mit sich bringt“, erklärt die 30-Jährige. Die Mischung aus Musik- und Theaterwissenschaft fasziniert sie. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr konnte sie mit ihrem Bruder bei Latein- und Standardtänzen bereits ihr Körpergefühl und ihre Bühnenpräsenz für das Theater schulen.
Egal welchen Weg Ljubow Grams letztlich einschlagen wird, sie wird dabei ihre Liebe zur Musik nie außen vor lassen. Es ist, als ob ihre Eltern geahnt haben, dass ihre Tochter sich beruflich wie privat stets dem verschreiben wird, was ihr Herz erfüllt, wofür sie brennt: Ljubow ist das russische Wort für „Liebe“. mes
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