Eine 641-jährige Tradition endet
Mit Schließung der Löwenapotheke ist eine der ältesten Apotheken Deutschlands Geschichte
ROTHENBURG – Ein weiteres Stück unwiderbringlicher Stadtgeschichte ist verschwunden: zu Jahresbeginn hat die Löwen-Apotheke am Marktplatz 3 für immer geschlossen. Begründet im Jahr 1374 war sie die letzte noch existente Apotheke aus der Reichsstadtzeit Topplers. Der Blick in die Annalen zeigt eine gut dokumentierte Geschichte der einstigen Altstadt-Apotheken.
Wie beeindruckend alte Apotheken-Einrichtungen in Rothenburg waren, das sieht man leider nur noch im Reichsstadtmuseum. Glücklicherweise ist es in den achtziger Jahren gelungen, nahezu die komplette Ladeneinrichtung der Georgen-Apotheke (Apotheker-Familie Scharff) ankaufen zu können. Diese beliebte und wegen ihrer alten Einrichtung besonders reizvolle Apotheke war aus Altersgründen aufgegeben worden und musste wie so vieles in Rothenburg einer touristischen Nutzung weichen.

Einrichtung der früheren Georgen-Apotheke Scharff im Reichsstadtmuseum. Foto: diba
Nachdem schon lange die Apotheke Rudolf von der Rödergasse schloss, bleibt jetzt nur noch eine Altstadt-Apotheke übrig: Es ist die seit 1812 bestehende Marien-Apotheke im Fachwerkbau vor dem Brunnen. Dort hat man bei dem 2006 erfolgten Umbau nur noch einen alten Tresen von der (nicht nur bei Touristen beliebten) alten Einrichtung übrig gelassen, so dass es jetzt ein moderner Laden im historischen Fachwerkbau ist. Ein geschichtsträchtiger Ort, denn dort hatte Rothenburg in der Stauferzeit sein Rathaus. Die Reichsstadtherrlichkeit der Rothenburger Apotheken, die große Bedeutung in der Stadt hatten, ist aber im Internetzeitalter zwangsläufig dahin. Selbst Arznei kann man heutzutage im Netz zu Sonderangeboten bestellen. Doch die drei außerhalb der Mauern niedergelassenen neuen Apotheken (zwei in der Ansbacher Straße, eine im Zentro) beweisen, wie wichtig den Kunden trotzdem noch die persönliche Beratung ist – schließlich wird wohl jeder den Hausarztbesuch einer reinen Internetrecherche vorziehen.
Dr. Jürgen Kohnhäuser-Burkl und seine Frau Silke hatten seit 1997 in Nachfolge von Dr. Erwin Mögel die Löwen-Apotheke geführt und konnten sich über eine zufriedene Stammkundschaft freuen. Trotzdem hätte die Zukunft auch ohne den überraschenden Tod der Apothekerin für den langfristigen Betrieb nicht unbedingt rosig ausgesehen. Zum einen ist es der offensichtlich verschärfte Wettbewerb, zum andern sind es immer strengere Auflagen, die hier wie in vielen Branchen das Leben besonders in alten Häusern schwerer machen. Auch die Verkehrsregelung und die Parksituation werden als problematisch angeführt. Letztlich sorgen die Touristen in der Altstadt Rothenburgs für den Erhalt der (im Vergleich zu früher) noch wenigen verbliebenen Läden. Immer einseitiger verändert sich die Struktur innerhalb der Mauern.
Dr. Erwin Mögel, der 1970 die Nachfolge von Otto Haindl angetreten hat, brachte zum 600-jährigen Bestehen der Löwen-Apotheke 1974 eine informative Schrift zur Historie heraus. Im Jahr 1374 wird in den Listen des Steueramtes ein „Meister Peter, der Apotheker” mit „fünf Heller zu Jahrgeld“ betont. Es ist belegt, dass er im Dienste der Stadt mit der damals begründeten Ratsapotheke (beziehungsweise dann die Löwen-Apotheke) stand. Das Gesundheitswesen der Stadt reicht zurück bis zum Spital im 13. Jahrhundert, damals eine fortschrittliche Einrichtung. Den im städtischen Dienst stehenden Ärzten, die Arzneien verabreichten, folgten bald die ersten Apotheker. Die Entwicklung hat Heinrich Weißbecker in seiner Schrift „zur Apotheken-Geschichte Rothenburgs vor 1806“ beschrieben. Die Feuersbrunst, die das städtische Archiv 1240 zerstörte, lässt leider wertvolle Dokumente vermissen.

Otto Haindl, Löwenapotheke 1937-70. Foto: Wagner
Jedenfalls folgt auf die älteste Rats- apotheke (Löwen-Apotheke) dann im Jahr 1600 die „Mohrenapotheke“, die von Georg Schwarzmann begründet wurde. Sie lag ebenfalls am Markt im Eckhaus der Oberen Schmiedgasse zur Hafengasse (Geißendörfer). Er gab sie weiter an seinen Sohn und dieser vererbte sie ebenfalls an den Nachkommen. So war die zweite Apotheke bis 1710 unter Senator Philipp Bernhard Schwarzmann im Familienbesitz. Später ging die Mohren-Apotheke allerdings ein.
Dritte Apotheke ist die „Zum goldenen Engel“, 1708 von Samuel Philipp Oppermann aus Goslar gegründet, später „Georgen-Apotheke“ an der Ecke Georgengasse/Markt. Von 1903 bis 1945 war sie im Besitz von Friedrich Scharff und wurde danach bis in die achtziger Jahre von Heinz Scharff bzw. zuletzt von dessen Witwe weitergeführt. Neben dem Mobiliar sind auch noch etliche Utensilien und Gerätschaften im Reichsstadtmuseum in einem eigenen Raum zu bestaunen.
Das örtliche Apotheken- und Gesundheitswesen hatte einen guten Ruf. Im 16. Jahrhundert führte der Rat regelmäßige Visitationen der Apotheken ein, wozu es ein Gremium mit den Stadtärzten und den Steuerherren gab. Der Apotheker K.-H. Bartels aus Lohr am Main hat zur vorbildlichen Apothekengesetzgebung von Rothenburg 1970 einen längeren Fachbeitrag in der „Pharmazeutischen Zeitung” veröffentlicht. Von Dr. Schnurrer gibt es u.a. in seinen „Rothenburger Profilen“ interessante Beiträge. Ebenso in der FA-Beilage „Die Linde“ vom Verein Alt-Rothenburg.
Mit der Weiterentwicklung des Medizinalwesens gab der Rat 1710 eine neue Ordnung heraus: Gifte mussten sicher verschlossen bleiben, Salia und Acida (Säure) durften nicht in Metallgefäßen verarbeitet werden, Präparate und Composita sollten „unter Aufsicht der Doctoren bereitet werden”. Der frühere Stadtarchivar Dr. Ludwig Schnurrer betont im Gespräch, welchen Grund die strenge Überwachung auch hatte: „So konnte nicht jeder Krämer einfach hineinpfuschen”.
Die Krämer handelten auch mit Arzneien und bis in jüngere Zeit waren ferner die Bader Anlaufstelle für manche Wehwehchen, behandelten sogar Verletzungen, offene Wunden und scheuten selbst chirurgische Eingriffe nicht. Aderlaß und Schröpfen gehörten zum Standardprogramm. Dr. Schnurrer: „In Rothenburg gab es praktisch in allen Stadtvierteln Bader”. Dass es außerdem nicht in allen Badestuben nur züchtig zuging, ist bekannt.
Am 31. März 1945 war die historische Löwen-Apotheke beim Luftangriff vollkommen zerstört worden, wertvolle Gerätschaften wurden vernichtet. Otto Haindl errichtete das Gebäude wieder nach äußerem Vorbild. Die typische steile Zugangstreppe bildet mit der gegenüberliegenden Rathaustreppe einen schönen Dipol und bleibt hoffentlich dauerhaft erhalten. Dort genießen Einheimische wie Touristen gerne die Sonne.
Nun ist die Löwen-Apotheke schon ausgeräumt. Vielleicht bleibt eine Erinnerungstafel für eine der ältesten deutschen Apotheken? Was aus dem Laden wird (das Haus gehört auswärtigen Haindl-Erben) ist abzuwarten. Die Zeiten haben sich gewaltig geändert. Dr. Mögel hatte in seiner Jubiläumsschrift noch auf die neue elektronische Technik hingewiesen: jedes Medikament sei künftig auf einer Lochkarte als Datenträger gespeichert und die „Fernübertragung“ biete viele Vorteile, schrieb er 1974 ganz auf die zukünftige Entwicklung eingestellt, nicht ahnend was sich noch alles verändern würde. Heute vermittelt der Apotheker tausende von Arzneien.
Dass man sich wenige Jahrzehnte später das ganze Apothekensortiment auf einen heimischen Rechnerbildschirm oder gleich aufs Mobiltelefon laden und dort bestellen kann, hätte sich kaum jemand erträumt. Der Apotheker sieht sich einer mächtigen Pharma-Industrie gegenüber, mit der er kooperieren muss – und zugleich hat er sachkundiger Partner seiner Kunden zu sein, die Versorgung der Bevölkerung zu garantieren. Dabei ist der Auftrag gesetzlich festgelegt – in manchem vergleichbar mit dem Rang der alten Ratsapotheken der Reichsstädte. diba
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