Versagen des Westens

Aktuelle Situation im „Größeren Mittleren Osten“ Thema bei SPD

ROTHENBURG – Konzeptionslos und amoralisch nennt Nahostexperte Claus Herbst die Versuche der USA und der Europäer zur Neugestaltung des Mittleren Ostens. 50 Zuhörer waren der Einladung der Rothenburger SPD und der Deutsch-Amerikanischen Gesellschaft Westmittelfranken zum Vortrag im Hotelgasthof Schranne gefolgt.

An der Karte erläutert Claus Herbst die derzeitige Krisenlage.

An der Karte erläutert Claus Herbst die derzeitige Krisenlage.

Gleich eingangs bereitete SPD-Vorsitzender Günther Schuster, der auch als Vizepräsident für die Deutsch-Amerikanische Gesellschaft begrüßte, die Gäste darauf vor, dass es bei der Veranstaltung vorrangig um die Analyse von Ursachen und Hintergründen in der Krisenregion ginge und nicht so sehr um die momentane Flüchtlingsproblematik, die die Massenmedien beherrsche.

Claus Herbst, dessen Passion die Region seit nahezu 60 Jahren ist, sieht die arabischen Aufstände, die im Jahr 2011 die lang unterdrückten Kräfte mit voller Wucht freigesetzt und zu chaotischen Zuständen geführt haben, nicht als das dunkle Ende einer Entwicklung sondern erwartet eine „lange Phase der Turbulenz“ in der Region.

Die Eskalation der Lage in Syrien und im Irak ist für Herbst kein Zufall, da die Grenzen dieser Länder vor fast genau 100 Jahren von den damaligen Kolonialmächten England und Frankreich willkürlich, ihren eigenen Interessen folgend, gezogen wurden. Im Gegensatz zu Ländern wie Ägypten und Tunesien habe sich daher keine eigene Nationalität entwickelt, was fatale Auswirkungen auf den Zusammenhalt der Gesellschaften habe. Konflikte, die ursprünglich auf soziale und politische Verwerfungen zurückzuführen seien, haben zu konfessionellen Konflikten zwischen Schiiten und Sunniten geführt. So stünden sich nun in der Region der vom Iran angeführte „schiitische Halbmond“ (vor allem Iran, Irak, Libanon) und ein sunnitischer Block, dominiert von Saudi-Arabien, gegenüber.

Es sollte, so der Referent, allen Beteiligten klar sein, dass die Lösung der Konflikte nur auf politischem Weg erfolgen könne, auch wenn man dafür einen langen Atem brauche.

In dieser unübersichtlichen Gemengelage suchten nun viele junge Araber nach Orientierung im Islam. Claus Herbst zitierte hierzu eine Umfrage, wobei junge Muslime (Männer und Frauen zwischen 15 und 34 Jahren) in acht arabischen Staaten (u.a. Marokko, Ägypten, Saudi-Arabien) befragt wurden. Es kristallisierte sich heraus, dass eine deutliche Mehrheit der jungen Muslime eine Modernisierung des Islam wünsche und auch eine Wiederbelebung des weiblichen Einflusses in der Religion, den es früher bereits gegeben habe.

Religiöse Eliten schüren

Dieses Ergebnis widerspreche deutlich der Ideologie und dem Menschenbild der Extremisten des sogenannten „Islamischen Staats“ und des Terrornetzwerks Al-Kaida. Immerhin stimmten aber rund sieben Prozent der Befragten den Extremisten uneingeschränkt zu. Gründe sich Terrorgruppen anzuschließen sähen die jungen Muslime vor allem in der Politik der korrupten, repressiven Regime, der Propaganda radikaler Prediger und im sehr niedrigen Bildungsniveau.

Schuld am Extremismus habe, nach Aussage der meisten Befragten, weder die Politik des Westens noch der Islam sondern die Vertreter der eigenen politischen und religiösen Eliten. Laut Claus Herbst könne man in der krisengeschüttelten Region nur eine Art von „arabischer Einheit“ feststellen, die sich bis heute lediglich in der Feindschaft gegenüber anderen definiere, wie dies in den vergangenen 70 Jahren gegenüber Israel gewesen sei.

Der Kardinalfehler des Westens sei „die Verleugnung unserer eigenen rechtsstaatlich-demokratischen Prinzipien“ im Umgang mit den Regierenden in der Krisenregion gewesen und die mangelnde Unterstützung für progressive arabische nationalstaatliche oder republikanische Bewegungen. Der Feind von Demokratie und Menschenrechten sei nicht der Islam sondern die autoritären, repressiven Regime, die weg müssten.

Moral gegen Sicherheit

Weder die Europäer noch die USA hätten ein Konzept zur Neugestaltung der Region. Herbsts hartes Fazit: „Wir haben die Moral gegen Sicherheit und wirtschaftliche Vorteile eingetauscht und tun das bis heute.“ Die Menschen in anderen Kulturkreisen brauchten „Fairness und ehrliches Interesse an ihren Lebenschancen“. Europäer und Amerikaner seien an der Entwicklung mitschuldig und zu Wiedergutmachung verpflichtet, statt Abschottung Europas sei Solidarität gefragt.

Der höchst interessante und informative Abend fand seinen Abschluss in zahlreichen Nachfragen des sachkundigen Publikums. gs

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*