Italiensehnsucht im Wildbad
Kultur: Gelungene, gut besuchte Veranstaltung im „Rokokosaal“ zum „Welttag des Buches“
ROTHENBURG – Stimmungsvoller geht es kaum: Im Rokokosaal des Wildbads traf sich eine stattliche Schar Italophiler in Sachen Lektüre. Vor den schmucken Rundbogenfenstern dunkelte allmählich der anfangs noch lichte Frühlingsabendhimmel vom Saphirblau ins Onyxhafte – wer in der Pause auf den großzügigen Balkon des Saales trat, spürte beflügelt von Goethe, Seume und Vivaldi-Klängen eine Ahnung der Allgegenwart eines eigentlich weit südlicher verorteten Lebensgefühls.
Den Welttag des Buches zu ehren, dazu eingeladen hatten die Stadtbücherei, die Goethe-Gesellschaft, das Evangelische Bildungswerk und das Kulturforum. Dessen Vorsitzender Erich Landgraf dankte besonders Bärbel Andresen vom Sozialprojekt „Kultur für alle“: Menschen mit Handicap (in verschiedener Hinsicht) erhalten finanzielle Hilfe für den Besuch von Kulturveranstaltungen. Ein geschätztes Viertel des Publikums habe das Angebot wahrgenommen, freute sich der Kulturforums-Beauftragte. „Ein Spaziergang nach Syrakus – und andere Italienreisen“ lautete das Motto der Vortragenden.
Musikalisch begleitet unter der Leitung von Hans-Peter Nitt am altweißen Blüthner-Flügel wurde das Programm vom „Quartett Crescendo“ aus Schülerinnen und Schülern des Reichsstadt-Gymnasiums. Seit wenigen Wochen erst besteht diese Formation, aber sie hat bereits einen vergnüglich homogenen Klang mit Gefühl für die Kompositionen beispielsweise von Vivaldi und Bellini entwickelt. Der ausgesuchte Zeitraum reichte von Johann Friedrich Seumes (1763 – 1810) Reiseschilderung „Ein Spaziergang nach Syrakus“ bis zu Friedrich Christian Delius (geboren 1943). Dessen Figur Paul Gompitz nimmt sich als DDR-Bürger vor, auf Seumes Spuren auch einmal nach Italien zu reisen. Sein Versuch, diesen „Spaziergang von Rostock nach Syrkaus“ zu realisieren, ist freilich mit ganz anderen Problemen ausgestattet gewesen als die Reise des Vorbilds.
Vorgetragen wurden Seumes Schilderungen von Georg Krause, die Touristenpfarrer Oliver Gußmann mit einem Intermezzo unterhaltsam unterbrach. Mit Hut und Gerte untermalte er gestisch das italienische Märchen „Die drei Jäger“. Passagen aus Goethes „Italienische Reise“ wurden vorgetragen von Herbert Krämer-Niedt, begleitet – wie die gesamte Veranstaltung – von Erich Landgraf und Hannolore Hochbauer, Leiterin der Stadtbücherei, die einen literaturhistorischen Hintergrund lieferten.
Talitha Wagner las aus Louise von Göchhausens Reisetagebuch: Die Weimarer Hofdame zeigt sich ergriffen durch das neapolitanische Lebensgefühl. Auch Tourismuschef Jörg Christöphler steuerte fein ironisch Akzentuiertes aus Heinrich Heines Reisebildern bei. Peter Noack rezitierte das zärtlich melancholische „Porto Fino“ von Christian Morgenstern. Gedichte von Ingeborg Bachmann, Rainer Maria Rilke und Conrad Ferdinand Meyer zum Thema rundeten den schönen Abend. bhi
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