Wohin steuert die Europäische Union?

Fernseh-Journalist Udo van Kampen über eine EU nahe am Abgrund und mit unsicherer Zukunft

ROTHENBURG – Im Rahmen ihrer Jubiläumsfeier zeigten sich die Rotarier politikinteressiert und luden einen besonderen Gast ins Wildbad ein. Udo van Kampen, ehemaliger Fernsehjournalist des ZDF und Onkel von Dr. Heike Siebenbürger (die noch im letzten Jahr das Präsidentenamt des Rotary-Clubs inne hatte), hielt einen Vortrag über die EU als fragiles Gebilde, das zu zerbrechen droht, fängt man nicht bald an es wieder zu festigen.

Freilich ist es unmöglich innerhalb weniger Minuten die momentane Situation der EU und ihre Zukunft zu erklären. Udo van Kampen aber kam mit deutlichen Worten und klarer Meinung „nahe ran“. „Die 27 Mitgliedsstaaten schauen in den Abgrund.“, stellte er gleich eingangs fest. Vor zwei bis drei Jahren hätte er auf die Frage, ob Europa jemals scheitern könnte noch entschieden mit „Nein“ geantwortet: „Heute nicht mehr.“

Dr. Heike Siebenbürger und Udo van Kampen  Foto:Götz

Dr. Heike Siebenbürger und Udo van Kampen Foto:Götz

Die Europäische Union stecke in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung. „Freundschaft, Solidarität, die Bereitschaft anderen zu helfen und Zusammenzustehen. Das ist verloren gegangen“. Am deutlichsten zeigt sich das am Bewältigungversuch der Flüchtlingkrise. Und das Wort Versuch ist da schon wohlwollend. Nur 12 von 27 Mitgliedsstaaten seien im Augenblick bereit zu solidarischem Handeln, sagt van Kampen.

Kann man da noch von einer Union, von einer Gemeinschaft sprechen? Die EU zerbricht an einer Krise, die keine wäre, würden ihre Mitgliedsstaaten gemeinsam gegensteuern. Stattdessen tagten die 27 Staats- und Regierungschefs – zum ersten Mal ohne Großbritannien – am vergangenen Wochenende in Bratislava mal wieder ohne Ergebnis. Das hat sich also auch mit dem Austritt der Briten nicht geändert. „Die Werte der EU stehen nun auf dem Prüfstand.“, sagt van Kampen. „Wenn die EU beispielsweise bei Verhandlungen um die Visafreiheit mit der Türkei zögert, verkauft sie diese Werte und ihre Zukunft. Und liefert sich noch dazu einem Despoten aus.“ Aber was tut man nicht alles, um die momentane Flüchtlingssituation zu lösen, ohne dabei selbst Lösungen anbieten zu müssen?

Aber nicht nur die Flüchtlingskrise rückt die EU immer näher an den Abgrund. Das Problem hat das Fass womöglich nur zum Überlaufen gebracht. Die EU sei, so wie sie jetzt ist, mit ihren 27 Mitgliedsstaaten und ihren vertraglichen Regelungen nicht überlebensfähig, mahnt van Kampen. Eine gemeinsame Währung gepaart mit einer Wirtschaftsstärke, die von Land zu Land teils erheblich schwanke, das könne nicht funktionieren.

Das Beispiel Griechenland zeige eindrucksvoll, wie die bisherigen Finanzhilfen vor allem eines bewirken: nämlich nichts. Über 220 Milliarden Euro an Rettungsgeldern seien inzwischen ausgezahlt, die Situation aber sogar noch schlechter geworden. „Die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands geht gegen Null.“ Die Schulden, so van Kampen weiter, könnten die Griechen niemals zurückzahlen. Und so sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Schuldenschnitt komme. Griechenland brauche definitiv ein neues Rettungspaket. Das sei auch in der Bundesregierung jedem klar. Nur aussprechen wolle das dort niemand. Nächstes Jahr feiert man 60 Jahre römische Verträge und 60 Jahre Europäische Union. „Insbesondere Deutschland, hat von dieser Union profitiert und tut es auch von der Krise.“

Hohe Exportüberschüsse, hohe Binnennachfrage, eine niedrige Arbeitslosenquote und fast Vollbeschäftigung. Es kann einem Land wie Deutschland derzeit fast nicht besser gehen. „Überhaupt haben wir als Land durch die EU einen Aufschwung erlebt, den so niemand erwartet hätte“. Und so fragt van Kampen: „Soll dieses Europa in seine Nationalstaaten zerfallen?“ Wenn es nach ihm ginge, wäre dies eine ganz schlechte Idee. Es gebe keine Alternative zur EU, auch nicht in ihrem derzeit desolaten Zustand, sagt er. Selbst Deutschland wird mit über 80 Millionen Einwohnern ohne die EU in Zukunft keine Rolle mehr spielen im Vergleich mit den USA oder den aufstrebenden BRIC-Staaten, Brasilien, Russland, Indien und China.

Man müsse sich sehr bald Gedanken machen wie „vor allem die Jugend wieder dazugebracht werden kann, für Europa zu brennen.“ Ein erster Schritt wäre, selbst den Glauben an die EU und ihre Werte nicht zu verlieren. Und so fordert van Kampen genau dies in seinem letzten Satz emotional und eindringlich: „Tun Sie es für die Zukunft ihrer Kinder“. Vielleicht ist es sonst bald zu spät. Wie so oft merkt der Mensch womöglich erst dann, wenn er es verloren hat, was er davon hatte. og

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