„Noch nie Massentourismus“

Dr. Jörg Christöphler zu den fortgeschriebenen Statistikzahlen – Ständig am Markt präsent sein

ROTHENBURG – Auch wenn man es von außen immer wieder anders hört, ist Tourismuschef Dr. Jörg Christöphler überzeugt: „Rothenburg hatte noch nie Massentourismus!”  Die aktuellen Zahlen bis Oktober belegen, dass sich der Halbjahrestrend fortsetzt: Einbruch bei ausländischen Gästen bei guter Entwicklung des deutschen Binnenmarktes. Der Tourismusdirektor rührt verstärkt und gezielt die Werbetrommel – und sorgt sich um die Festspiel-Zukunft.

„Die Aussage vom Massentourismus habe ich noch nie verstanden, denn der beginnt erst dort, wo eine Stadt am Tag mit sechzig- bis siebzigtausend Gästen überschwemmt wird wie in Venedig”, sagt der Tourismus­chef und ist überzeugt, dass Rothenburg nicht darunterfällt. Dies sei ein Schlagwort, „das eher wirtschaftsfeindlich motiviert sein dürfte, denn Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Stadt und wir brauchen einfach mehr Angebote, die neue Zielgruppen entsprechen”. Was sich nun bereits in der Halbjahres-Statistik abzeichnete setzt sich in den aktuellen Zahlen von Januar bis Oktober fort und dürfte hochgerechnet aufs Jahresende sicher keine Trendumkehr mehr bringen. Die Negativentwicklung betrifft stark den Auslandsmarkt, während unverändert mehr deutsche Gäste nach Rothenburg kommen und so für eine unterm Strich doch noch sehr erträgliche Gesamtbilanz sorgen. Schließlich ist man 2016 „in ein Krisenjahr reingeschlittert”, wie Dr. Christöphler betont und die angesichts der Terrorwarnungen sehr empfindlichen Überseegäste mit dem asiatischen Raum reagieren weiterhin sehr empfindlich und kurzfristig. Das hören wir auch aus einzelnen Hotels, wo es nochmals deutliche Rückgänge im Herbst bei entsprechenden Buchungen gegeben hat. Bei insgesamt 293556 Gästeankünften bis Ende Oktober ergibt sich hier gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 6,1 Prozent. Betrachtet man aber die ausländischen Gästeankünfte mit knapp 160 000 an der Zahl, so liegt hier das Minus derzeit bei deutlichen 16,7 Prozent und man ist gespannt wie sich diese Negativzahl noch bis Jahresende verändert, denn die Adventszeit mit dem Reiterlesmarkt bringt wohl weniger als erhofft.

Besucherstarker Tag, aber leere Nebengassen (Alter Keller): Jörg Christöphler erklärt.

Besucherstarker Tag, aber leere Nebengassen (Alter Keller): Jörg Christöphler erklärt.

Dr. Christöphler verweist auf mehrere Ursachen, vor allem die enorme Konkurrenz: „In den letzten Jahren haben sich überall neue Weihnachtsmärkte gebildet, heute gibt es über 3500 allein in Deutschland”. Das heiße, der deutsche Gast frage sich zunehmend, warum er nach Rothenburg fahren solle, wenn er „auch woanders seinen Glühwein trinken kann”. Überdies würden viele mit weihnachtlichen Themenmärkten nachlegen, so gebe es inzwischen zum Beispiel in Kassel und Leipzig, aber auch im benachbarten hohenlohischen Niederstetten Märchen-Weihnachtsmärkte. Werbebotschaft: „Glitzernde Märchenwelt für Groß und Klein mitten in der Stadt Niederstetten! Leider habe man zur generellen Besucherentwicklung keine verlässli­chen Zahlen, weil man das nicht messen könne. In der allgemeinen Wahrnehmung und auch gestützt auf Aussagen der Budenbetreiber sei es weniger als früher. Viele Ausländer würden „die Weihnachtsmärkte diesmal eher meiden”, betont der Tourismus­chef im Gespräch.

Dritter Advents-Einkaufssonntag: in der Rödergasse ganz ohne „Massen”.  Fotos: diba

Dritter Advents-Einkaufssonntag: in der Rödergasse ganz ohne „Massen”. Fotos: diba

Blickt man weiter in die Statistik 2016 für das erste dreiviertel Jahr so liegen die Rückgänge bei den knapp 213000 ausländischen Übernachtungen mit minus 15 Prozent ähnlich hoch wie bei den Auslandsankünften. Dafür sieht es derzeit aber bei den Gesamtübernachtungen mit minus 2,9 Prozent nicht so dramatisch aus. Bis Ende Oktober waren es 436827 Übernachtungen, die für eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer von 1,5 Prozent sorgten. Bei 51,3 Prozent liegt der Anteil deutscher Gäste bisher (nur im Ok­tober waren es gut 60 Prozent), die gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum ein Plus von 12,2 Prozent bescheren (bei deutschen Gästeankünften sind es 10,8 Prozent). In der Hit-Liste der Gästeübernachtungen und Besucher bleiben unter den Ausländern immer noch die Japaner führend vor den USA. Dann folgen schon die Niederlande, und auf den Plätzen 4 und 5 China und Taiwan, ehe es mit Italien und Großbritannien, das auf dem 7. Platz liegt, weitergeht. Die nur noch 24812 Übernachtungen bis Oktober bei den Japanern enthalten allerdings einen dramatischen Rückgang, der sich jetzt auf 46 Prozent ausgeweitet hat, also gegenüber der Halbjahresbilanz nochmal zulegte. Gerade die europäischen Märkte sind vor dem internationalen Hintergrund wichtig, betont der Tourismusdirektor, und da werden auch Länder wie Großbritannien besonders gepflegt. Hier erzielte man von 2014 auf 2015 ein Plus von 23 Prozent, was sich nun bei 8573 Übernachtungen und einem Rückgang um 20,3 Prozent wieder relativiert. Rothenburgs Rolle bei der englischen Gartenvorstadt-Architektur (seit etwa 1906) war nach dem Besuch einer Delegation aus Hampstead Garden Suberb im Jahr 2014 in die Medien geraten und zusammen mit der neuerdings beworbenen „pittoresken Stadt” baut man die Kontakte aus. Um engere England-Beziehungen ging es schon einmal vor vierzig Jahren, als eine Städtefreundschaft mit dem malerischen 12000-Einwohner zählenden Badeort Sidmouth in der Grafschaft Devon im Gespräch war. Ein Redaktionsmitglied reiste im Herbst 1976 sogar nach Sidmouth und wurde dort von Bürgermeister und Bezirksregierung empfangen; man wollte wenigstens eine feste Städtefreundschaft erreichen. Oberbürgermeister Oskar Schubart hatte das Vorhaben positiv gesehen und Gespräche geführt, aber es überwog letztlich doch der Vorrang für andere Orte bei Partnerschaft und Städte-Freundschaften. Jörg Christöphler befürchtet durch die Brexit-Entscheidung der Engländer nun weitere Nachteile für Rothenburg.

Alle Zahlenspiele sind freilich vor der Tatsache zu sehen, dass der Tourismus in Rothenburg wirtschaftlich seit 2009 eine Erfolgsgeschichte mit rund 26 Prozent Übernachtungs-Zuwachs geschrieben hat. Die durchschnittliche Bettenauslastung stieg von 44,8 auf knapp 55 Prozent von 2009 bis 2015. Dabei hat die Bettenzahl um 50 abgenommen. Für den Tourismusdirektor ist der Ausbau des Hotels Rappen zum noch leistungsfähigeren, größeren Tagungshaus deshalb sehr zu begrüßen. Ständig mit neuen Themen am Markt präsent zu sein ist das Credo des Tourismusdirektors, der nicht nur die Massentourismus-These zurechtrückt, sondern auch die häufig kolportierte Zahl von bis zu 2,5 Millionen Tagesgästen. Die letzte Untersuchung von 2011 habe 1,7 Millionen ergeben und er selbst schätze heute eher, dass es 1,5 Millionen sind. Gar nicht erfreut ist man im Tourismusamt über Negativschlagzeilen wie zum Festspiel-Drama, noch dazu wo man gerade eine Weltkulturerbe-Auszeichnung erhalten hat. Dr. Jörg Christöphler: „Da ist die Kinderzeche Dinkelsbühl schon dabei an Rothenburg vorbeizuziehen!” diba

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