„Ich wand’re ja so gerne…“

Im Marathon-Modus ging es für Harald Büchel über den Rennsteig

ROTHENBURG – Ein Schlager, der sich über 60 Jahre lang im Gedächtnis der Menschen hält, kann einfach nicht lügen. Und auch Harald Büchel würde wohl der positiven Beschreibung des Höhenwegs des Thüringer Waldes im „Rennsteiglied“ vorbehaltlos zustimmen, schließlich beging er die 169,3 Kilometer entlang der einst innerdeutschen Grenze bereits zum zweiten Mal – und zwar in lediglich dreieinhalb Tagen.

Harald Büchel vor dem „Sinnbild“ des Rennsteigs: Die Holzkirche in Neuhaus am Rennweg.  Fotos: privat

Harald Büchel vor dem „Sinnbild“ des Rennsteigs: Die Holzkirche in Neuhaus am Rennweg. Fotos: privat

Täglich eine Marathon-Distanz mit einem zehn Kilogramm schweren Rucksack auf dem Rücken: Dem 58-Jährigen ging es nicht darum, einen Rekord aufzustellen. Als Konstrukteur, der überwiegend vor dem Computer sitzt, suchte er vor allem das Kontrastprogramm zu seinem Berufs-alltag und wollte sich mal so richtig „auspowern“. Deshalb hing er am Schlusspunkt in Blankenstein auch nicht seine Trekkingschuhe an den Schilderbaum, sondern wanderte weiter durch Oberfranken: Über Kulmbach und dann entlang des Weißen Mains ging es nach Bamberg.

Trotz des gewaltigen Tagespensums an Kilometern, lief er nicht mit Scheuklappen auf dem Höhenweg, schließlich begab er sich nicht ohne Grund zum zweiten Mal in Folge auf diese Rennsteig-Tour. „Besonders schön ist hier, dass man auf dem Weg kaum Straßenkontakt hat“, schwärmt Harald Büchel von dem idyllischen Streckenverlauf, wo man auch auf nicht befestigten Wegen und in ausgetrockneten Flussbetten unterwegs ist. Zudem war die Jahreszeit geschickt gewählt. Jetzt im Frühling, wenn alles zu blühen anfängt, bietet sich den Wandersleuten ein besonderes Naturerlebnis, wozu auch die ­Vögel mit ihrem „Mordslärm“ einen klangvollen Teil beitragen.

Ganz unten im Rucksack

Für Harald Büchel war die Wanderung ein bewusstes „Abschalten vom Alltag“, wie er zugibt. Deshalb verstaute er auch sein Smartphone ganz unten im Rucksack und legte die Strecke ohne Begleitung zurück. Sein Studienfreund, der direkt am Rennsteig lebt und mit dem er beim ersten Mal den Weg bezwang, leistete ihm heuer nur auf einer Etappe Gesellschaft. „Wer Ruhe sucht, der sollte hierherkommen“, kann er allen Wanderbegeisterten nur empfehlen.

Doch des einen Freud ist wie fast immer des anderen Leid. Die Erholung, die man dort findet, lässt sich nämlich auch darauf zurückführen, dass man nicht auf Schritt und Tritt anderen Wanderern begegnet. Für diejenigen, die aber wirtschaftlich von den Touristen abhängig sind, ist dies eine äußerst negative Entwicklung. Die Euphorie, die etwa bei der ersten deutsch-deutschen Rennsteigwanderung im April 1990 nach 40 Jahren Trennung herrschte, ist mittlerweile ziemlich verflogen.

Als eingefleischter Aktivurlauber hat Harald Büchel schon einige Wander- und Radstrecken in Deutschland und Europa auf Herz und Nieren getestet. Der Rennsteig hat es ihm dabei als perfektes Ziel, praktisch vor der Haustür gelegen, besonders angetan. So gebe es überall Übernachtungsmöglichkeiten und bei schlechtem Wetter bieten Schutzhütten ein Dach über dem Kopf. Stets dem weißen R hinterher, wandelt man so durch den Thüringer Wald, das Thüringer Schiefergebirge sowie den Frankenwald nicht nur in einer landschaftlich reizvollen Gegend, sondern auch auf den Spuren der deutschen Geschichte.

Ehrenvolle Ruhestätte nach 169,3 Kilometern für das strapazierte Schuhwerk.

Ehrenvolle Ruhestätte nach 169,3 Kilometern für das strapazierte Schuhwerk.

Etwa 50 Informationstafeln bieten Naturliebhabern und Erholungssuchenden interessante Fakten zu einer Reihe von Themen. So erfährt man beispielsweise am Gedenkstein für Karl-Volkmar Stoy, dass dieser 1853 mit der Reise seiner Seminarschule von Jena zum Inselberg den Schul-Wandertag in Deutschland begründete. Oder man wird auf die für die Republik einmalige hydrographische Besonderheit der dreiseitigen Wasserscheide hingewiesen, deren Bäche in die Elbe, den Rhein und die Weser münden.

Natürlich darf auch eine Würdigung von Herbert Roth nicht fehlen, der mit der inoffiziellen Hymne Thüringens, also dem „Rennsteiglied“, große Bekanntheit erlangte. Die deutsch-deutsche Geschichte wird ebenfalls thematisiert, etwa in Form einer Schautafel zu den DDR-Sperranlagen. Daneben sorgen mal mehr, mal weniger offizielle Verlautbarungen am Wegesrand für heitere bis besinnliche Ablenkung: So brachte etwa ein Landwirt folgendes Schild an seiner Wiese an: „Hier beginnt die Salatschüssel meiner Kuh und nicht das Klo Ihres Hundes.“

Besondere Wander-Stempel

Um eine bleibende Erinnerung an die „Rust“, also die Rennsteigwanderung, zu haben, ließ sich Harald Büchel selbstverständlich auch die entsprechenden Wanderstempel geben. Über zwei freut er sich dabei ganz besonders: denjenigen aus Friedrichshöhe, der darauf hinweist, dass es die kleinste Gemeinde der DDR war, und denjenigen aus Bamberg. Letzterer bedeutete für Harald Büchel fast so etwas wie ein versöhnliches Ende der Strapazen, denn ab dem Weißen Main ging es zwar schön am Gewässer entlang, doch der gerade, asphaltierte Weg bot wenig Abwechslung. Zudem wollten auf dem letzten Stück die Füße nicht mehr mitmachen. „Da war es nur noch Strecke abarbeiten“, gibt er offen zu.

Fast wäre ihm der krönende Abschluss nach sechseinhalb Tagen der Wanderschaft verwehrt worden, denn am Karfreitag ist der Dom außerhalb des Gottesdienstes für Besucher eigentlich geschlossen. Doch der Wandersmann konnte einen Geistlichen von seinem Anliegen überzeugen und wurde in die Sakristei gelassen. So kam er zu der einmaligen Gelegenheit, den Bamberger Dom für kurze Zeit ganz für sich alleine zu haben. mes

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