Musik von epochalem Geist

Stadtpfeifferey begeistert mit musikalischem Porträt Martin Luthers und seiner Zeit

ROTHENBURG – Martin Luther war ohne Frage ein Weltbeweger, wenn auch nicht als Schöpfer von Tönen. Eine bedeutungsvolle Beziehung zur Musik hatte er dennoch. Auf der Zielgeraden des reformatorischen  Jubiläumsjahres entführte die Rothenburger Stadt­pfeifferey in die Klangwelt des evangelischen Urvaters und seiner Zeit. Das musikalische Porträt  in einer bis auf die letzten Plätze gefüllten Franziskanerkirche hätte nicht eindrücklicher gelingen können.

Homogener Chor- und Instrumentalklang: Die Stadtpfeifferey unter Leitung Hans-Peter Niets. Foto: Düll

Homogener Chor- und Instrumentalklang: Die Stadtpfeifferey unter Leitung Hans-Peter Niets. Foto: Düll

Luther griff selbst gern zur Laute und schrieb Lieder. Seine Verdienste um die Musik sind nicht gering zu schätzen, auch wenn sie eher im Politischen denn im Künstlerischen zu sehen sind. Im Gegensatz zu anderen Reformatoren erkannte er in der Musik einen ähnlichen Wert wie in der Theologie. So strebte er auch danach, den Gemeindegesang zum wesentlichen Teil des Gottesdienstes werden zu lassen. Er ehrte das volkstümliche Lied ebenso wie die großen Meister, die mit ihrer Kunst die „natürliche“ Musik „schärf­ten und polierten“, wie er formulierte.

Von derlei Raffinement war in diesem Konzert reichlich geboten. Den Anfang machte „Eine feste Burg ist unser Gott“. Die Weise zählt zu den knapp zwei Dutzend von Luther selbst komponierten Melodien. Das Arrangement des mit einem strahlkräftigen Flötensatz eingeleiteten und gesanglich bis zur Vierstimmigkeit variierten Kirchenmusikklassikers ebnete geschmeidig den Übergang zu Meisterstücken der Zeit, darunter Mariengesänge der Franko-Flamen Josquin Desprez (Luthers Lieblingskomponist) und Heinrich Isaac. Beide Tonkünstler genossen schon zu Lebzeiten großen Ruhm. Sie galten nicht umsonst als Meister der perfekten Mehrstimmigkeit. Ihre Sätze sind für jeden Chor eine Herausforderung. Das Vokalensemble der Stadtpfeifferey meis­terte sie bravourös, bestechend klar und beseelt in der Ausdeutung.

So erstrahlte die Klangarchitektur einer Zeit, die aus antiken Ideen heraus nichts weniger als das Menschentum erneuerte. „Humanismus“ heißt bis heute das Denken, welches das Abendland im 15. Jahrhundert in ein radikal neues Licht tauchte. Es ist ein Geist, der Schönheit im platonischen Sinne mit christlicher Nächstenliebe verbindet. Neu geboren wird in dieser Zeit auch die Musik. Ein bis dahin nicht gekannter sinnlicher Ausdruck tritt an die Stelle der Rationalität mittelalterlicher Kom­positionskunst.

Transparentes Klanggewebe

Das Ensemble unter der hingebungsvollen, subtilen Leitung Hans-Peter Nitts zeigte sich auf Augenhöhe zu dieser epochalen Ausdrucksgüte. Der homogene und transparente Chorgesang, die Ausgewogenheit der Stimmen sowie das wohltarierte Verhältnis von Instrumental- und Vokalklang ließ die Fülle an geistlichen Weisen erblühen.

Die Instrumentalisten der Stadtpfeifferey webten dazu auf modernen Nachbauten historischer Musikgeräte ein farbiges, luftiges Klangtuch. Auch die Stücke ohne Worte erweckten die Eigenart und den Zauber der Renaissancemusik, so nahbar, als wäre sie just erdacht worden.

Darauf darf auch Gertrud Schneider als nun schon jahrzehntelange bewegende Kraft der Stadtpfeifferey stolz sein. Zwar spielte und sang sie diesmal nicht mit, erstellte aber im Vorfeld der intensiven Proben die gesamten Einzelstimmen für das 25-köpfige Ensemble sowie die anschaulichen Zwischentexte für das Konzert.

Dass das Klanggemälde der Lutherzeit so plastisch geriet, dazu trug auch das letzte Programmdrittel bei. Mit der gleichen Hingabe wie für die geistliche Musik widmete sich die Stadtpfeifferey der Sphäre der Bänkelsänger und der Spielleute. Lieder von Studentenmund und Königshand zählten zum facettenreichen Reigen weltlicher Werke.

Volksnah bis höfisch

Zu den Schöpfern zähl­te auch einer, der so gar nicht zu Martin Luther passen will: Heinrich VIII. Doch auch dieser berühmt-berüchtigt englische König mit dem unmenschlichen Ruf war auf gewisse Weise ein Reformator, indem er nämlich die Anglikanische Staatskirche einrichtete. Sein höfisches Unterhaltungslied „Pastime with good company“ erzählt von den Freuden des Lebens. Hier, zum Finale des Konzertes vibrierte der Boden, auf dem Musik das Tanzbein schwingt, auf dem „Gassenhawer“ umhertollen oder Studenten freche Lieder singen. Wie sich das anhörte, demonstriert die Stadtpfeifferey mitreißend. Und auch die Liebeslieder der Renaissance haben ihre Reize wie das gefühlsnuancenreiche „Elslein, liebes Elslein mein“ aus der Feder des Münchener Hofkapellmeisters Ludwig Senfl zeigte. Er soll mit Luther in engem Kontakt gestanden und für ihn auch komponiert haben.

Sich den Applaus bis zum Schluss aufzusparen, dazu war das Publikum eingangs freundlich angehalten worden. Umso stürmischer fiel der Beifall aus, der sich nach dem langen genussvollen Lauschen schließlich Bahn brechen durfte. Die „Stadtpfeiffery“ bedankte sich ihrerseits mit einem stimmungsvollen Ausklang: „Innsbruck, ich muss dich lassen“ von Heinrich Isaac. hd

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