Viel Häme gegen Liebe

Kulturkritik: „Angst essen Seele auf“ als Theaterstück

ROTHENBURG – Bravos gab es jüngst vom Publikum für das Gastspiel des Landestheaters Dinkelsbühl im Städtischen Musiksaal. Gespielt wur­­de „Angst essen Seele auf“, ein legendäres Melodram für Film und Theater von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1974. Die nach wie vor virulente Thematik von Fremdenfeindlichkeit und reaktionärer ­Intoleranz hätte es verdient, reflektierter in den Bezügen  auf die Probleme der Gegenwart inszeniert zu werden.

Ali schmecken Emmis belegte Brote (Maike Frank, Pascal Averibou). Fotos: Hirschberg

Dieses geschah bis auf  etwas Handy-Manie und der wie immer dem Mode-Alltag vorzüglich abgeschauten Kostüme von Ursula Blüml leider nahezu nicht. Ein Wermutstropfen in der Inszenierung von Johannes Lang ist, dass sie mehr auf Unterhaltung setzt als auf Fassbinders Tiefenschärfe. Getragen wird die Aufführung von der durchweg stim­migen Spielkunst des Ensembles (Claudia Roth, Stefanie Steffen, Manuel Klein im geschmeidigen Rollenwechsel, David Lindermeier als auratischer Sänger zur Gitarre).

Die beiden mit ihrer Darstellungskunst glänzenden Hauptakteure Maike Frank als ältere Putzfrau Emmi Kurowski und Pascal Averibou als der zwanzig Jahre jüngere Marokkaner Ali hätten es mehr als verdient gehabt, im Titelfoto auf dem Programmblatt zum Theaterstück zu erscheinen. Stattdessen ziert dieses ein Foto der Film­schau­spielerin Brigitte Mira mit Partner El Hedi Ben Salem aus Fass­binders Film. Diese Art von Werbung ist allerdings ein wenig penetrant. Denn wer sich ins Theater aufmacht, der wollte nun mal just an diesem Abend nicht ins Kino.
Das Stück beginnt mit einem Rückblick, der tröstlich und bitter zugleich ist. Auf der kargen Bühne mit drei blaugrauen Stellwänden, die mit Klappluken als Haus- und Zimmerwände zugleich die­nen, steht die deutsche Reinigungskraft Emmi Kurowski und singt einsam eine arabische Weise vor sich hin, bevor ihr ein Arzt erklärt, dass Ali – ihr Ehemann – zwar vorübergehend wieder gesund würde, aber seine stressbedingten Magengeschwüre ohne eine Kur und eine grundsätzliche Lebensänderung nicht zu heilen seien. Sein Heimweh ist aussichtslos, „nichts Arbeit“ für ihn gebe es in Marokko. Doch „Arbeit ist das halbe Leben“, weiß Emmi. Ob in den 70er Jahren als „Gastarbeiter“ oder aktuell unter der Bezeichnung „Migrant“ – die Lage ist in einer Welt, die sich selbst als eine globalisierte begreifen möchte, eher noch härter und paradoxer geworden.
Ebenfalls noch immer nicht selbst­verständlich „integriert“: die Liebe einer älteren Frau zu einem deutlich jüngeren Mann und umgekehrt. Noch schwieriger, wenn beide verschiedene Hautfarben haben. Fass­binder zeichnete minuziös wie schonungslos den hasserfüllten Sog aus Neid und Häme bis in den engs­ten Familienkreis nach, auf den zwei Menschen treffen, die sich einfach nur lieben möchten und von den Schmerzen der Einsamkeit heilen. Hier berührt die In­szenierung durch das Spiel von Mai­ke Frank und Pascal Averibou, ihrem lebensmutigen „Ja“ zueinander. bhi

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*