„Viva Voce“ in der Kornhhalle: Gentlemen des A-cappella-Gesangs
ROTHENBURG – Auch Boys werden älter. In diesem Fall ist das nicht von Nachteil. Dass das Ansbacher Premiumquintett des modernen A-cappella-Gesangs schon auf eine Bandgeschichte von 20 Jahren zurückblickt, daran mag man nur eines beklagen: wie schnell eben die Zeit vergeht. Ansonsten gibt es nichts zu meckern. Die fünf sind zu Gentlemen ihres Genres avanciert, nicht ohne sich eine gewisse Frechheit und Frische bewahrt, ja zur Reife gebracht zu haben.
In perfekter Formation: „Viva Voce“ beim Jubiläumskonzert auf der Kornschen Kulturbühne. Foto: Düll
Beim Gastspiel vor ausverkaufter Kornhalle geriet nicht nur das Intro der Jubiläums-Show augenzwinkernd zwischen donnernder Zarathustra-Fanfare und putzig komischem Eigenständchen. Die fünf von „Viva Voce“ sind, was sie auch singen, witzig, mitreißend, anrührend, gedankenanstoßend und als pures Vokalensemble stets vom Feinsten. Ob sie sich nun Hits ausleihen oder eigene stricken: Immer werden süffig-elegante Motetten des modernen A-cappella-Stils daraus, oft befeuert von vokalen „Drums“ und sonor federndem Kehlenbass. Farben über Farben, allesamt rein aus den Stimmbändern gezaubert, verströmen das Fluidum fetter Pop-und-Rock-Arrangements unterschiedlichster Spielart
Die Mischung stimmt. Es ist kein Repertoire des Dauergrinsens. „Viva Voce“ begeistert sein Publikum mit verschiedenen Songgesichtern und stiftet so Entertainement im besten Sinne. Da wirkt alles irgendwie leicht, nichts aber wirklich seicht. Auch dann nicht, wenn die Lausbuben des „Vox-Pop“, wie sie ihren Stil selbst nennen, wild in der Gemüsekiste der Evergreens wühlen. Dann schwingen Oldie- und Neo-Schlager von Heino bis Helene Fischer im fliegenden Wechsel locker-lustiger Parodien das Tanzbein, was für atemlos beglückte Erheiterung im Publikum sorgt. Mitunter lebt die Gaudi vom fliegenden Gegensatz: Capri-Fischer-Belcanto, dunkel knarzender Electro-Pop und ätherischer Engelschor sind hier nur ein paar Takte voneinander entfernt.. Doch die fünf können auch noch ganz anders: Mit einem Jugendzimmer-Soundtrack haben ihre eigenen, immer wieder nachdenklichen Lieder nichts zu tun. Dann besingen sie fesselnd innig die Gedankenfreiheit. Dann kommt eine Zeitgeistreflexion über zu viel künstliche Intelligenz und zu wenig echte menschliche Beziehung schlitzohrig als Liebeslied daher. Dann streuen die Sänger Sand ins Getriebe der medialen „Verblödungsmaschine“, empfehlen ironisch den „Mut zur Lücke“ („auf Fakten geb ich nicht so große Stücke“) und steigern sich schließlich in einen Song hinein, gegen den Gunter Gabriels „Hey Boss, ich brauch mehr Geld“ wie ein frommes Liedchen wirkt. Viva Voces ganz eigene Totalabrechnung mit dem fiktiven Chef ist eine gefährlich augenfunkelnde Furie an Text, die sich zu einem fulminanten Gangster-Swing steigert.
Das alles ist auf seine Art ebenso amüsant wie die niedlich-schrullige Parodie des Parade-Rock-Songs schlechthin. Bei dieser Version von „Highway to Hell“ („Bin auf der Autobahn zur Hölle“), kommt nicht nur der im Max-Raabe-Stil näselnde Frackträger irre witzig rüber, sondern auch die ausgeflippt groovende Begleitung inklusive elektrisierendem Stimmgitarren-Solo.
Die Hölle kann so komisch sein. Wenn Viva Voce die putzteufelige „Früh-Radaufrau“, in den schillerndsten Farben besingt, dann darf sich, wer will, ebenso darin wiedererkennen wie in der Textzeile „vom guten Freund zum Pferdestehlen“, als den die Sänger sich selbst und ihr Publikum begreifen. Und die Heimat haben sowieso alle ins Herz geschlossen. Ganz weltoffen, versteht sich. Die Frankenhymne in vollendeten Reggae-„Vibrations“ – auch das zählt zum Finale dieses bejubelten Bühnengeburtstages. hd
Schreibe einen Kommentar