„Bringt euch in Sicherheit“

Bomben statt Geburtstagsessen

ROTHENBURG – Der Bombenhagel über Rothenburg am 31. März. 1945 jährt sich am Ostersamstag zum 73. Mal. Gretel Staudacher feierte damals ihren 13. Geburtstag – um dann zusammen mit ihrer Mutter und den Geschwistern aus der brennenden Stadt zu fliehen. Exakt in diesem Jahr jährt sich dieses Geschehen wiederum an einem Ostersamstag –  und der 86. Geburtstag steht an.

Gretel Haug erlebte die Bombardierung Rothenburgs an ihrem 13. Geburtstag. Foto: hg

Der Feuersturm in Rothenburg ist Gretel Haug, wie sie seit ihrer Heirat heißt, in ihrem Gedächtnis haften geblieben. Es sollte eine fröhliche Geburtstagsfeier werden und endete in einer Tragödie. Gretel Haug ist die Tochter von Maria Staudacher und die Schwester von Wilhelm Staudacher. Aufgewachsen ist sie im Haus Alter Keller 17. Ihr Sohn, der Autor Gunter Haug, hat das geschilderte Schreckenserlebnis von der Zerstörung Rothenburgs in seinem Buch „Niemands Tochter“ beschrieben. Wir dürfen es freundlicherweise in Auszügen wiedergeben.

Gretel war an jenem Morgen voller Freude über ihren 13. Geburtstag aus dem Bett gehüpft, obwohl sie in der Nacht zuvor wieder ängstlich eine Zeit lang zu ihrer Mutter ins Schlafzimmer geschlüpft war. Sie hatte wieder einmal mitbekommen, wie stumme fremde Leute lange nach Einbruch der Dunkelheit auf den Dachboden geschlichen waren. Die Angst dieser Nacht schien wie weggewischt, und auch die Erinnerung an die bedrohlichen Bombengeschwader, die jetzt sogar schon am hellichten Tag in der Nähe der Stadt zu hören und zu sehen waren, war der Vorfreude auf das mittägliche Geburtstagessen gewichen.
Ohrenbetäubendes Getöse
Gerade, als Gretel den Löffel in die Hand nehmen wollte, erfüllte plötzlich ein dumpfes Brummen die Luft und wurde von Sekunde zu Sekunde stärker. Die Wände schienen zu zittern, und sogar die Teller in den Schränken begannen zu klappern. Erschrocken hielt sich Gretel die Hände an die Ohren.
„Das sind die Bomber!“ Maria stockte der Atem. Komm schnell! Sie griff nach Gretels Arm und zog sie hinter sich her aus der Küche. »Erich, Wilma, wo seid ihr?“ Sie hatte noch nicht richtig ausgesprochen, als ein schweres Flugzeug mit infernalischem Lärm im Tiefflug über das Haus hinwegraste. Während die beiden entsetzt im Flur stehen blieben, knallte die Haustür auf und Wilhelm Löslein rannte  die Treppe hoch. »Maria, es geht los!«, keuchte er. „Kommt schnell mit, es kommt auf jede Sekunde an!“ Er zog Maria heftig am Ärmel. Mit einem  Blick in die Küche fasste er die wie erstarrt da­stehende Gretel an der Hand. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Mädchen! Schade um das schöne Sauer­kraut!“
Im selben Moment schlug krachend die erste Bombe in der Stadt ein. Minutenlang herrschte ohrenbetäubendes Getöse, und dort, wo die Brandbomben explodierend ein­schlugen, kam jede Hilfe zu spät. Nach einer scheinba­ren Ewigkeit ließen die Explosionen nach, und schließlich ebbte auch das unaufhörliche Brummen und Zittern in der Luft ab. Löslein wischte sich den Schweiß von der Stirn, als das Geräusch der Bomber nachließ. Besorgt sah er sich in dem dunklen Keller um »Hat irgendjemand von euch etwas abbekommen?«
Meterhohe Flammen
Nein, anscheinend haben wir noch mal Glück gehabt! Maria erhob sich mühsam und sah ihren Kindern — einen nach dem anderen — forschend ins Gesicht, während sie, sich den Staub vom Kleid klopfte. Wilhelm Löslein stieg die Leiter hoch und öffnete den hölzernen Verschlag im Fußboden des Erdgeschosses. Langsam zwängte er sich durch die Öffnung. „Das Haus scheint nichts abbekommen zu haben und die beiden Schweine haben auch überlebt.“ Er streckte die Hand aus und half einem nach dem anderen wieder hoch.
Raus aus der Stadt und zwar sofort.  Frau Wipperfürth kam mit ihren beiden halbwüchsige Kindern ins Haus gerannt. „Frau Staudacher! Ich halte das nicht mehr aus — erst hat man uns in Düsseldorf ausgebombt und hierher in Sicherheit gebracht, und jetzt geht es hier weiter!“ Maria nahm die verzweifelt schluchzende Frau in die Arme. „Wir packen schnell das Nötigste zusammen, und dann verlassen wir die Stadt so schnell wir können. Und Sie kommen mit.“ Überrascht sah die weinende Frau auf. „Wohin denn? Ich kenne doch niemanden hier!“ „Wir gehen aufs Land – wenn wir es schaffen, bis zu meinem Vater auf den Bauernhof“! Energisch klatschte sie in die Hände. „Jedes Kind steckt ein paar Sachen zum Anziehen in einen Kopfkissenbezug, sonst nichts! Die großen helfen den Kleinen! Gretel, du nimmst das rest­liche Brot mit. Ich hole ein paar Decken und den Leiterwagen.“
Nach einer knappen Viertelstunde waren sie so weit. Mar­ia setzte die kleinen Kinder, den dreijährigen Werner und den fünf Jahre alten Bruder Hans zusammen mit der sechseinhalbjährigen Frieda in den Leiterwagen und nahm die wenigen Habseligkeiten der Frau aus Düsseldorf in Empfang.  Als sie, gefolgt von Gretel und den fünf anderen Kindern, die Gasse herunter und dann zwei Querstraßen weiter nach Osten gelaufen waren, of­fenbarte sich das Ausmaß der ersten Zerstörungswelle an diesem schicksalhaften Tag.
Bis auf die Grundmauern niedergebombte Häuser in diesem Teil der Stadt und Fassa­den, aus deren hohlen Fensteröffnungen meterhohe Flam­men schlugen. Überall eilten Menschen in panischer Hast durch die Straßen, stolperten über reglos auf dem Boden liegende Männer und Frauen, die aus weit geöffneten Au­gen blicklos zum Himmel starrten. „Um Gottes willen, Mutter! Das ist ja furchtbar!“ sis

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