Über Tellerrand geschaut

Brasilianer lernte in Ohrenbach Grundlagen biologischer Landwirtschaft kennen

OHRENBACH – Brasilien, das sind Copacabana, Samba und die pure Lebensfreude. Eine biologische Landwirtschaft sucht man dort bislang jedoch vergebens. Deshalb machte sich der Argraringenieur-Student Alexandre Immich aus der südbrasilianischen 2-Millionen Stadt Curitiba auf nach Ohrenbach, um sich hier ein Jahr lang auf dem Biohof der Familie Wirsching mit der ökologischen Anbauweise und Viehzucht vertraut zu machen.

Alexandre Immich kümmerte sich mit Hingabe um die Kälbchen. Foto: Scheuenstuhl

Und die Landwirtschaft war natürlich nicht der einzige Unterschied zu seiner südamerikanischen Heimat. Zwar stammt der 27-Jährige ursprünglich auch aus einem „kleinen Dorf“. Doch selbst dieses war dann schon um einiges größer als Ohrenbach. Die Ruhe auf dem flachen Land am Rande des Taubertals habe er genossen, sagt er, von Langeweile war aber auch ohne Kino und Einkaufsmöglichkeiten in den zwölf Monaten keine Spur. Denn von Anfang an wurde er in die Dorfgemeinschaft integriert – auch dank Johannes Wirsching, dem Sohn seines Praktikumsgebers, und der Dorfjugend, mit der er viele Feste in der Region besuchte.

„Brasilianischer Sonnenschein“ 
„Wer den Alexandre nicht mag, der mag niemanden“, beschreibt Harald Wirsching knapp und treffend das aufgeschlossene und einnehmende Wesen des „brasilianischen Sonnenscheins“. Und so ging der finale Abschied auch auf beiden Seiten mit etwas Wehmut einher. Seit mittlerweile 20 Jahren bietet die ­Familie Wirsching Ausbildungspraktika auf ihrem Hof an. Meist kommen die Nachwuchs-Landwirte dabei aus Osteuropa. Zum ersten Mal lebte man nun mit einem Brasilianer zusammen und dann gleich für ein ganzes Jahr. Da wächst man menschlich schon zusammen.
Aber auch was die Arbeit auf dem Hof betrifft, ist Harald Wirsching voll des Lobes für den 27-Jährigen. Dieser wurde in alle anfallenden Aufgaben eingebunden und war immer zur Stelle wenn außer der Reihe etwas zusätzlich erledigt werden musste. Die großen Maschinen haben es Alexandre Immich besonders angetan – und die Kälbchen. Um die jungen Rinder kümmerte er sich mit großer Hingabe und versorgte sie stets zuverlässig mit dem Milch-Taxi.

Wachstumsschub unter brasilianischer Sonne: Soja- und Mais-Pflanzen in trauter Nachbarschaft. Foto: privat

Das Leben mit den Tieren und der Natur kennt der junge Brasilianer von frühester Kindheit an. Seine Eltern bewirtschafteten seit er denken kann selbst einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb, auf dem sie Tabak anbauten und später dann Milch produzierten. Mittlerweile sind sie im Ruhestand und pflanzen noch in kleinerem Maße Soja und Mais an.

Auf eigenen Wunsch  
Grundsätzlich zieht Alexandre Immich die Anstellung in einem Betrieb der Selbstständigkeit vor. Und deshalb möchte er auch nicht den elterlichen Hof übernehmen, auch wenn er theoretisch noch zwei Jahre Zeit zum Überlegen hat, bis er sein Studium der Agrarwissenschaften beenden wird. Die Chance zu nutzen und für das Studium und den Lebenslauf Erfahrungen im Ausland zu sammeln, war sein eigener Wunsch. Deutschland als „Lehrstätte“ auszuwählen kommt aber nicht von ungefähr.
Alexandre Immich hat nämlich deutsche Wurzeln. Sein Uropa stammte aus Hamburg und noch seine Oma und sein Vater unterhielten sich nicht nur auf brasilianisch, sondern auch auf Plattdeutsch. Diese familiären Bande zu Deutschland führten bereits dazu, dass er 2008 ein Jahr lang als Au Pair auf einem Pferdehof in Rheinland Pfalz verbrachte. Auch seine Schwester zog es vor zwölf Jahren in die Heimat der Vorfahren, wo sie nun ihren Lebensunterhalt als Krankenschwester verdient.
Pfarrer als Ideengeber
Dass es Alexandre Immich ausgerechnet nach Ohrenbach verschlagen hat, ist Hans Zeller zu verdanken, der vor vielen Jahren selbst einmal Praktikant auf dem Hof der Familie Wirsching war. Damals war er als Pfarrer bei der Neuendettelsauer Mission „Eine Welt“ in Brasilien eingesetzt und mit Alexandre Immichs Tante bekannt. Bei ihr trafen sich die beiden dann auch zufällig, tauschten sich über die Pläne und Interessen des jungen Studenten aus und schon war die Idee für das Praktikum geboren. Von der Natur her sei Brasilien ein Paradies, erklärt Harald Wirsching. Dank Sonne und Wasser im Überfluss lasse sich alles anbauen und man erhalte zwei Ernten pro Jahr – allerdings auf nicht sehr umweltfreundliche Art und Weise. Das Thema biologische Landwirtschaft sei auch im Studium nur ganz wenig behandelt worden, ergänzt Alexandre Immich.
Wenn überhaupt finden sich nur ein paar Obst- und Gemüsesorten, die das Prädikat „bio“ verdient hätten in brasilianischen Supermärkten. Bio-Milch habe er überhaupt noch nie in seiner Heimat gesehen, erklärt Alexandre Immich. Das Problem ist, dass auch die Brasilianer beim Einkaufen nach der Optik gehen. Und Bio-Ware ist in der Regel halt nicht makellos und genormt. Hinzu kommt, dass sie teurer ist, was sich viele Brasilianer einfach nicht leisten können.
„Doch langsam müssen wir darüber nachdenken, etwas zu verändern“, ist der angehende Agrar-Ingenieur überzeugt. Der Einsatz von Chemikalien und der Anbau in Monokulturen haben mittel- bis langfristig schädliche Auswirkungen auf  Mensch und Natur. Seine Erfahrungen in Ohrenbach sollen für ihn ein erster Ansatzpunkt für weitere Überlegungen sein, wie man auch in Brasilien umweltfreundlich anbauen kann, denn die Maßnahmen der ökologischen Landwirtschaft in Deutschland lassen sich nicht eins zu eins auf die brasilianischen Gegebenheiten übertragen. So unterscheidet sich etwa der Boden deutlich in den beiden Ländern. In seiner Heimat, erklärt Alexandre Immich, könne man aufgrund des vielen Regens nicht so häufig die Äcker pflügen, da sonst die Gefahr der Bodenerosion bestehe.
Es läuft sicherlich einiges nicht richtig in Brasilien. Doch das landläufige Image seiner Heimat als Umweltsünder wollte Alexandre Immich dann doch nicht widerspruchslos hinnehmen. Und deshalb lud er kurz vor seiner Rückreise die Ohrenbacher Bevölkerung zu einem Vortrag ins Gasthaus „Rotes Ross“ ein, um „sein“ Brasilien und dessen reiche Kultur und Natürschätze vorzustellen. Etwa 60 Zuhörer ließen sich für zwei Stunden mit zahlreichen Bildern und Informationen zu Land und Leute nach Südamerika entführen. mes

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