Anspruchsvolle Projekte als Mittel gegen sinkendes Französisch-Interesse
ROTHENBURG – Etwa 270 Millionen Menschen weltweit sprechen Französisch, entweder als Mutter- oder zumindest als Fremdsprache. In den Institutionen der Europäischen Union sowie bei den Vereinten Nationen ist Französisch Arbeitssprache. Am Rothenburger Reichsstadt-Gymnasium konnten sich bislang nur gut eine Handvoll Schüler finden, die im kommenden Schuljahr die Sprache der Liebe neu erlernen möchten – ein deutschlandweiter Trend. Mit Projekten und Wettbewerben versucht man allgemein, das Interesse an Französisch zu wecken und aufrecht zu erhalten.

Anastasia, Jennifer, Lena, Haley und Klara besprechen mit der französischen Autorin Diane Giorgis (re.) ihre Ideen.
Umso erfreulicher ist es da, dass es erneut eine Gruppe hiesiger Neuntklässlerinnen geschafft hat, bei dem Wettbewerb „Prix Polar“ ins Finale zu kommen. Ihre Aufgabe: Den Anfang einer französischen Geschichte auf interessante und kreative Weise weiterzuschreiben. Als Hauptpreis winkt ihnen, ihre Gemeinschaftsleistung als eine von mehreren Fortsetzung schwarz auf weiß gedruckt in einem Buch zu sehen.
Ihre Vorgängerinnen vom Reichsstadt-Gymnasium schafften dies bei der letzten Auflage. Die diesjährigen Aspirantinnen sind hingegen noch mitten im Schaffensprozess, um auch die letzte Hürde noch zu nehmen. Als eine Art „Zuckerl“ für ihre bisherige Leistung bekamen sie nun Schützenhilfe von der Autorin der Ursprungsgeschichte.
Diane Giorgis machte sich extra auf den Weg nach Rothenburg, um mit Jennifer, Anastasia, Lena, Klara und Haley von Angesicht zu Angesicht über den weiteren Verlauf ihrer Geschichte zu sprechen – natürlich auf Französisch. Die Mitarbeit der Neuntklässlerinnen bei diesem Gespräch fließt neuerdings in die Bewertung mit ein. Nach einem kurzen Plausch, um warm zu werden, ging es auch schon ans Eingemachte. Schnell war der rote Faden gefunden und die Ideen zu Papier gebracht.
Wenigstens sprechen können
Viele neue Wörter haben die Schülerinnen, nach eigener Aussage, im Zuge der Recherche gelernt, ebenso wie man bestimmte Sachverhalte korrekt auf Französisch ausdrückt. Ihnen allen gefällt die Sprache. „Die kann man wenigstens sprechen“, führen sie einen der Gründe an, weshalb sie sich vor vier Jahren für Französisch entschieden haben.
Im Laufe der Zeit wurden es allerdings immer weniger, die es ihnen gleichtaten. Walter Först, Direktor des Reichsstadt-Gymnasiums ging in seiner Begrüßung auf diese Entwicklung ein. Er warf die Frage in den Raum, ob man mit einer Schülerzahl von momentan sechseinhalb (einer sei sich noch nicht sicher), den sprachlichen Zweig mit Französisch als dritter Fremdsprache überhaupt anbieten könne. Er sei aber „sehr geneigt“ dies wieder zu tun, gab er selbst die Antwort darauf. Diese Aussage wurde nicht nur von Julia Ferger, der Französisch-Lehrerin der fünf Rothenburger Nachwuchsschriftstellerinnen, sondern auch von den weiteren Gästen mit einer Mischung aus Freude und vorsichtigem Optimismus zur Kenntnis genommen.
Anlässlich des Auftakts der Autorenbesuche kamen auch Rachel Gillio, Leiterin des Deutsch-Französischen-Instituts Erlangen mit ihrer Mitarbeiterin Paula Rauhut, zuständig für Schulprojekte und Kinderkurse, sowie Fabrice Gonet, Sprach- und Bildungsattaché des „Institut français“ in München, zur Stippvisite ans Reichsstadt-Gymnasium. Ebenso wie die Lehrkräfte spüren sie das sinkende Interesse an ihrer Sprache.
Während 55 Jahre nach der Unterzeichung des Elysée-Vertrags, dem Grundstein der deutsch-französischen Freundschaft, hierzulande die Sprache des Nachbarn an Beliebtheit einbüßt, lernen immer mehr Schüler der anderen Rheinseite Deutsch, weiß Fabrice Gonet zu berichten. Französisch ist die Sprache Molières, der Kunst und Diplomatie. Sie sei aber auch die Sprache anspruchsvoller Grammatik und zungenbrecherischer Aussprache – soweit das Klischee.

Fabrice Gonet und Rachel Gillio setzen sich für die Förderung der französischen Sprache und Kultur ein. Fotos: Scheuenstuhl
Den Rang abgelaufen
Auch der Bildungs- und Kulturattaché kann über die wahren Gründe für das nachlassende Interesse am Französischen nur spekulieren. „Vielleicht wird es als schwerer als Latein angesehen? Vielleicht ist es einfach nicht exotisch genug?“, so seine Mutmaßungen. Tatsache ist, dass vor allem Spanisch in den vergangenen Jahren dem Französischen den Rang abgelaufen hat.
Das Deutsch-Französische Institut (defi) ist Initiator des „Prix Polar“, der heuer zum fünften Mal durchgeführt wird. Dank des „Institut français“ können erstmals Schüler aus ganz Bayern daran teilnehmen. Die Erlanger Sprach- und Kulturvermittler haben schon reagiert, als sich der negative Trend beim Französisch-Lernen gerade erst abzuzeichnen begann. Seit einigen Jahren bietet das „defi“ deshalb Arbeitsgemeinschaften und Ateliers in Kindergärten und Grundschulen an, um so früh wie möglich das Interesse an der französischen Sprache zu wecken, erklärt dessen Leiterin Rachel Gillio.
Viele engagierte Lehrkräfte
In gewisser Weise sei man über die aktuelle Situation „bekümmert“, gibt Fabrice Gonet zu. Aber es gebe „sehr viele engagierte Lehrkräfte“, die maßgeblich dazu beitragen, die Trendwende umzukehren, schlägt er sogleich zuversichtlichere Töne an. Eine Möglichkeit hierfür ist, eines der vielen Projekte durchzuführen, die diverse Träger anbieten. Damit lassen sich jene Schüler ansprechen, die sich an einem entscheidenden Punkt in ihrer Lernkarriere befinden: Wenn sich einzelne Vokabeln und Grammatikbausteine nach und nach zu einem Sprachfluss verbinden.
Für die Lehrkräfte bedeuten diese Extras zum vorgegebenen Lehrplan selbstverständlich zusätzlichen Zeit- und Arbeitsaufwand. Schulleitung und Französisch-Fachschaft müssen hier „Hand in Hand“ arbeiten, so Fabrice Gonet. Seine Überzeugung lautet „Französisch ist mehr“ – mehr als nur die einzelnen Wörter. Die Sprache ist Teil einer gemeinsamen Geschichte, bietet Austauschmöglichkeiten, wie der Autorenbesuch am Gymnasium, beweist.
Berufsbedingt liegt Fabrice Gonet die Sprache der „Grande Nation“ besonders am Herzen. Doch plädiert er grundsätzlich für Mehrsprachigkeit. Denn mehrere Sprachen zu beherrschen sei angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ein wirksamer „Schutz vor Radikalismus und Nationalismus“, ist er überzeugt. mes
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