Held für einen Abend

Kulturkritik: Tragikomisches Solo mit Jens Rainer Kalkmann

ROTHENBURG – Jubel gab es und einen Beifall, der spürbar von Herzen kam für die schauspielerische Leistung von Jens Rainer Kalkmann. Das Landestheater Din­kels- bühl gastierte jüngst im Städtischen Musiksaal mit dem Erfolgsstück „Die Sternstunde des Josef Bieder“ von Eberhard Streul unter der Regie von Urs Schleiff.

J. R. Kalkmann tanzt als Josef Bieder den sterbenden Schwan. Foto: Hirschberg

Die 1984 entstandene und 1992 zusammen mit der Wiener Theaterlegende Otto Schenk überarbeitete Revue für einen Theaterrequisiteur ist eine vergnüglich anekdotische Sammlung von allerlei mehr oder weniger Wissenswertem aus der Welt hinter den Kulissen. Wer sich schon immer gefragt hat, ob der Wein auf der Bühne echt ist oder gar Malventee, ob das Messer von Othello aus Gummi oder ein Klappmodell ist, der erfährt Aufklärung bis in die Mischungsverhältnisse bei Himbeer- und Brombeersaft für den richtigen Farbton beim Theaterblut. Dass eine Hühnerkeule als essbares Requisit in Oper und Operette gerne aus glitschiger Banane hergestellt wird, damit kein Krümel die Kehle der Singenden stört, ist interessant für alle, die Sprech- und Musiktheater lieben und sich dergleichen Unklarheiten schon immer gefragt haben.

Ansonsten ist die Geschichte des Jo­sef Bieder, eines  Musiktheaterlieben­den, klein, karg und mitleiderregend, weil symbolisch für so viele Existenzen, die auf die Befehle derer „von oben“ warten und stets ängstlich darauf bedacht sind, alles, aber auch alles richtig zu machen. So ist es für Josef Bieder eine Katastrophe, dass an einem ausgewiesen spielfreien Tag Publikum im Saal sitzt, das für sein Geld unterhalten werden möch­te. Das muss ein Fehler von „ganz oben“ sein, aber dort geht niemand ans Telefon. Jens Rainer Kalkmann spielt die Rolle des mit Haut, Haar und Herz pflichtgetreuen Angestellten bis ins Detail so lebensecht und anrührend, dass wohl selbst dem Hartgesottens­ten die Kehle sich schmerzlich verengt, wenn dieser fleißig empathische Mann am Stückende seine Kündigung per Brief erhält, weil das Theater Stellen streichen müsse.
Bis dahin aber entfaltet der Liebhaber des Musiktheaters, der Möchtegern-Sänger die gesamte Band­breite seines Wissens und Könnens, tanzt den sterbenden Schwan, singt sich durch das Repertoire vom „Bettelstudent“ bis zu Knut Kiesewetters „Fresenhof“, spart den Bühnen­tratsch nicht aus, scheltet Nichts­könner und lobt die völlig unterschätzte Kunst des Dirigierens mit verstiegener Wortbildgewalt – denn wer deutete vor Josef Bieder je  den Auftakt als „Defloration der Stille“? Stellenweise erinnert der Schauspieler an Heinz Erhardt, aber die zumeist ernste Konzentration in seinen manchmal wie vor Schreck gerundeten Augen gibt der Komik Tiefe und Nachdenklichkeit.
Dramaturgisch hätte gestrafft werden können – eine ironisch missratene Selbstbelobigung des Landes­-
theaterchefs als Einspieler darf beherzt gestrichen werden. Jens Rainer Kalkmann ist einfach gut – das allein überzeugt voll und ganz! bhi

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