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Maikundgebung in Rothenburg: Unsoziale Schieflage kritisiert
ROTHENBURG – Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde mit vielen Wohlhabenden und sehr Wohlhabenden. Aber gleichzeitig wird es für immer mehr seiner Menschen immer schwerer, mit ihrem Niedriglohneinkommen über die Runden zu kommen und sich eine auskömmliche Rente zu sichern. An den Essensausgaben der Tafeln werden die Schlangen länger und länger. Die unsoziale Schieflage und die soziale Kluft in unserem Land war diesmal großes Thema bei der Maikundgebung auf dem Grünen Markt in Rothenburg.

Ganz ordentlich ist die Zahl von Teilnehmern bei der Maikundgebung auf dem Grünen Markt. Foto: Weber
Als Hauptredner ging Dr. Manfred Böhm, Leiter der Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg, scharf ins Gericht mit dieser Situation. „Heute gibt es in Deutschland skandalös viel Armut bei gleichzeitig enormem Reichtum“, sagte er. Das reichste Promille der Bevölkerung nenne gut 17 Prozent des Gesamtreichtums von rund 9 bis 10 Billionen Euro sein Eigen. Die reichsten zehn Prozent besäßen 66 Prozent des gesamten Vermögens, die ärmsten 50 Prozent hingegen nur 1,4 Prozent.
Natürlich habe es zu allen Zeiten Verteilungsunterschiede gegeben. Aber sie waren nie so extrem wie heute. Im Aufzug des Reichtums seien die Wohlhabenden schneller aufwärts gefahren als die unteren Schichten. Ängste, Ärger und Unzufriedenheit bis hinein in die Mittelschichten seien die Folge.
Die öffentliche Hand leiste sich auf Kosten der Allgemeinheit Überschüsse. Krankenhäuser und Pflegeberufe seien chronisch unterfinanziert, die Verkehrsinfrastruktur in einem desolaten Zustand. Im Bildungsbereich liege Deutschland mit 4.7 Prozent am Bruttoinlandsprodukt weit hinter Schweden, den USA und Frankreich unterhalb des OECD-Durchschnitts. Die Rente sei ohne private Vorsorge zu klein. Sozialausgaben seien durch die verschiedenen Reformen wie Senkung des Rentenniveaus, Erhöhung des Renteneintrittsalters, Hartz IV usw. he-runtergefahren.
„Die schwarze Null des Staates wie auch Rekordgewinne der Unternehmen werden bezahlt von den Niedriglöhnern und den sozial Schwachen dieser Republik,“ kritisiert der Betriebsseelsorger. Er fordert dazu auf, bei den Stellschrauben anzusetzen, um wieder mehr soziale Gerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit und damit mehr gesellschaftliche Stabilität herzustellen. Dazu gehören nicht zuletzt auch höhere Löhne als aktiver Beitrag zu mehr Verteilungsgerechtigkeit und Voraussetzung für sozialen Frieden.
Der Mindestlohn von derzeit 9,19 Euro sei zwar der Schritt in die richtige Richtung und die schwarzen Prognosen, dass er massive Arbeitsverluste bringe, seien inzwischen durch zehn Prozent mehr sozial-versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse widerlegt.
Entsprechend der Katholischen Soziallehre, wonach den Menschen ein gerechter Lohn für ihre Arbeit zusteht, fordert Dr. Böhm merkliche Steigerungen: „Kein Grund also für die Gewerkschaften in den laufenden und kommenden Tarifrunden allzu bescheiden zu sein.“ Im Mindestfall müsse auch für Geringverdiener ein Lohn unter dem Strich stehen, der davor bewahrt, im Alter in menschenunwürdigen Armutsverhältnissen leben zu müssen. Dass Menschen ihr Leben lang arbeiten und dennoch im Alter nicht über die Runden kommen, ist eine der beschämendsten Respektlosigkeiten gegenüber arbeitenden Menschen. 70 Prozent der Rentnerinnen in Bayern leben nach seinen Angaben an oder unter der Armutsgrenze, rund 30 Prozent der Männer. 200000 Menschen im Freistaat seien regelmäßig auf Essensspenden angewiesen.
Auf 48 Prozent habe die Bundesregierung das Rentenniveau laut Beschluss eingefroren. Aber das könne höchstens ein Anfang sein: „Wir wollen im Gegenteil wieder eine Anhebung auf ein menschenwürdiges Niveau.“ Der Sozialstaat stehe für soziale Integration aller Gruppen und Raubbau bleibe nicht ungestraft.
Allen Rassisten und Fremdenfeinden, lautstarken Hetzern und heimlich Beifall Klatschern müsse unmissverständlich deutlich gemacht werden, dass es für Gewerkschafter und Christen niemals Menschen erster und zweiter Klasse geben soll. Wer andere Hautfarbe habe oder aus einer anderen Kultur zu uns komme, dürfe nicht ausgegrenzt oder gar attackiert werden: „Jeder Einzelne hat das Recht, sein Leben in Würde zu entfalten.“
Im Forderungskatalog von Dr. Böhm: die Wiedereinführung der allgemeinen Vermögenssteuer. Sie bringe selbst bei hohen Freibeträgen 15 Milliarden Euro jährlich in die Staatskassen. Mit einer einmaligen Vermögensabgabe auf die wirklich großen Summen kämen weitere 15 Milliarden Euro hinzu. Eine Finanztransaktionssteuer brächte gar 45 Milliarden Euro pro Jahr.
Zur Europawahl am 26. Mai betont Dr. Böhm: „Die Nationalisten aus aller Herren Länder würden gerne das Ende der EU einläuten und zu der Nationalstaaterei zurückkehren. Das ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Die EU ist von Anfang an ein großes Friedensprojekt gerade dadurch, dass sie nationalstaatliche Egoismen überwunden hat. Sie ist der Garant dafür, dass es in Mitteleuropa seit dem 2. Weltkrieg keine kriegerischen Auseinandersetzungen mehr gegeben hat.“
Als Vorsitzende des DGB-Ortsverbandes Rothenburg hatte Simone Ehnes im Anschluss an das eingespielte Lied „Völker hört die Signale“ bei ihrer Begrüßungsrede ein solidarisches und gerechtes Europa gefordert. Nicht zur Wahl zu gehen, bedeute diesmal mehr als das am 19. Januar 1919 erstmals auch für Frauen erkämpfte Wahlrecht mit Füßen zu treten: „Überlasst die Bühne nicht den Rassisten und ausländerfeind-lichen Parteien.“
Außerdem setzte sie sich in ihrem einleitenden Beitrag mit den Themen Rothenburger Krankenhaus (mit Hinweis auf die laufende Peti-tion) und Feiertags- und Sonntags-öffnung im Rothenburger Einzelhandel auseinander. Wie berichtet, sorgt seit Wochen das aus den 50er Jahren stammende Ladenschlussgesetz dafür, dass Besucher nicht mehr einkaufen können. Nicht von ungefähr stünden Sonntage und Feiertage unter dem Schutz des Grundgesetzes. Es seien wichtige Zeitanker für Familien, Vereine und Organisationen, für die Kultur und für das kommunale Leben.
Pastoralreferentin Monika Angermeier und Pfarrerin Katharina Winkler hatten in einer vorausgegangenen ökumenischen Andacht zu „Brot und Rosen“ mit einer Dialogpredigt deutlich gemacht, dass Solidarität und Gerechtigkeit auch wichtige christliche Werte sind. Carmen -Kast-ner begleitete den inzwischen schon traditionellen Beitrag der Kirchen zur Maikundgebung am Keyboard.
Mit dem Lied „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“, klang der offizielle Teil der Veranstaltung aus. DGB-Ortsverband, Betriebsräte, Vertrauenskörper von Electrolux bzw. Distriparts Deutschland GmbH und nicht zuletzt der SPD-Ortsverein zeigten Flagge am Grünen Markt und halfen bei der Organisation zusammen. Mit einem Infostand waren auch die Linken bzw. der gewerkschaftliche Verkehrsclub ACE mit von der Partie.
Bei fast ungewohnt sonnigem Wetter nutzten viele der Kundgebungs-Teilnehmer die Gelegenheit zum Weißwurstfrühstück und zum anschließenden gemütlichen Beisammensein. -ww-
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