Gemalte Hühnerlegende

Heiligenkult um Jakobus beschert Rothenburg zusätzliche Aufmerksamkeit

ROTHENBURG – Rothenburg kann mit seinen Pfunden Kultur, Geschichte und Architektur wuchern. Die überragende Stellung der Jakobskirche beschert der Stadt enorme Aufmerksamkeit, die ein internationales Publikum anzieht. Der Sakralbau mit seinen Kunstwerken begeis­tert Denkmalschützer und Kunsthistoriker. Aktuell sorgt das prominente Beispiel der gemalten Hühnerlegende auf der Rückseite des Zwölf-Boten-Altars für Schlagzeilen.

Mit Gemälden, Skulpturen und Wappen wurden Geschichten verherrlicht, wie das Pilgerwunder des Heiligen Jakobus. Das auflagenstarke Magazin für Denkmalkultur in Deutschland „Monumente“ erläutert in der Oktober-Ausgabe anhand mehrerer Beispiele das in der Kunst beliebte Motiv von der Hühnerlegende in den Jakobus geweihten Kirchen, wie es auch am Hauptaltar des Rothenburger Gotteshauses zu finden ist. Friedrich Herlin schuf 1466 den Zwölf-Boten-Altar für die Wallfahrerkirche St. Jakob und malte auf den Rückseiten der Flügel einen Jakobus-Zyklus, der das Galgenwunder detailreich über fünf Tafeln ausbreitet.

Auf den Rückseiten der Altarflügel hat Friedrich Herlin das Galgenwunder ausgebreitet.        Fotos: Schäfer

Auf den Rückseiten der Altarflügel hat Friedrich Herlin das Galgenwunder ausgebreitet. Fotos: Schäfer

Eine Abbildung zeigt die Rückkehr der Pilger aus Santiago de Compostela, nun ausgewiesen durch die Jakobsmuschel. Im Hintergrund hängt der Sohn lebend am Galgen. Bei der folgenden Konfrontation des Wirtes mit dem Richter ereignet sich das Hühnerwunder. In verschiedenen Varianten fand die Legende weite Verbreitung. Mal fliegen die Brathähnchen vom Teller des Richters, mal vom Spieß in der Küche des Wirts.

Während sich die Begebenheit zuerst in Toulouse abgespielt haben sollte, wie Bettina Vaupel in dem Beitrag schreibt, wurde sie schließlich in Santo Domingo de la Calzada angesiedelt. Das Wunder des gehängten deutschen Pilgers ging in die Volksliteratur der europäischen Länder ein. Die Hühnerlegende wird auf Wandmalereien, Glasfenstern oder Altarbildern gezeigt. Die Wundererzählungen von den fliegenden Brathähnchen gelten als eine der bekanntesten Legenden, die mit dem Pilgervater Jakobus verbunden sind und seit dem 12. Jahrhundert schriftlich belegt ist.

Im Liber Sancti Jacobi, einer umfangreichen Handschriftensammlung, die auch einen Pilgerführer enthält, führt sie die Jakobus zugeschriebenen Mirakel an. Die Wallfahrt zur Ruhestätte von Jakobus dem Älteren, der durch den König Herodes Agrippa I. in Jerusalem enthauptet wurde, hat eine lange Tradition. Wohl zu Beginn des 9. Jahrhunderts wurde in Galicien ein Grab entdeckt, wie es in dem Beitrag heißt, das man mit dem des Apostels gleichsetzte. Im Zuge dessen manifestierte sich die Vorstellung, Jakobus habe in Spanien gepredigt und seine Gebeine seien dorthin übertragen worden. Politisch und kirchenpolitisch gefördert, entwickelte sich das Apostelgrab zu dem Pilgerort, der im ausgehenden 9. Jahrhundert auch über die Grenzen Spaniens hinaus bekannt wurde. Unter königlicher und bischöflicher Ägide entstanden neue Kirchen und Herbergen.

Die Santiago-Wallfahrt erlebte zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert ihre Blütezeit, danach war ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Die Reformation brachte eine tiefe Zäsur. Entscheidung war die Kritik der Protestanten am Heiligenkult. In der früheren Neuzeit traten andere regionale Wallfahrtsstätten in den Vordergrund. Der Jakobusverehrung als Schutzherr der Pilger tat das aber keinen Abbruch. Seit dem 19. Jahrhundert erhielt die Santiago-Wallfahrt neue Impulse. Im ausgehenden 20. Jahrhundert kam es zur Renaissance ungeahnten Ausmaßes. Heute begegnen sich wieder Menschen unterschiedlicher Nationen auf dem Jakobsweg. Der Camino Francés, der von den Pyrenäen nach Santiago führt, sowie die Hauptwege durch Frankreich zählen zum Unesco-Welterbe.

Das Wandern auf dem alten christlichen Pilgerpfad ist abermals zu einer Massenbewegung geworden – auch wenn die Sinnsuche heute allgemeiner gefasst ist. Mit den Kunstschätzen am Wegesrand rückt der Heiligenkult um Jakobus, und mit ihm die Hühnerlegende wieder stärker ins Bewusstsein. Davon profitiert auch der Tourismus in Rothenburg. Die heutigen Pilger sind ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor. sis

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