Anregende Plauderstunde

Auf Hausbesuch bei Dr. Brigitte Heuser und ihren Raritäten – Ein besonderes Erlebnis

ROTHENBURG – Dr. Brigitte Heuser, Jahrgang 1927, hat sich im Alter ein gutes Gedächtnis bewahrt. Bei einer Tasse Kaffee in der gemütlichen Altstadtwohnung in der Judengasse erzählt die Witwe des ehemaligen Rothenburger Goethe-Institutleiters Dr. Georg Heuer lebhaft über Orte ihrer Erinnerung und Begegnungen mit interessanten Menschen wie den bekannten schottischen Bildhauer George Wyllie, der ihr einige seiner Kunstwerke als Geschenk hinterlassen hat. Darunter die Modellzeichnung für seine entworfene Applaus-Maschine.

Die Geschichten sprudeln aus ihr heraus, und sie wird zum jungen Mädchen, das lebhaft erzählt von einem erfüllten Leben mit ihrem Mann, der im Dezember 2011 verstarb, aber in Gedanken weiterhin bei ihr ist. Tochter „Bea“ und Enkelin „Lörchen“, sie ist in Rothenburg getauft und konfirmiert, leben nach Stationen in London und Paris in Reading in England und halten täglichen Telefonkontakt.

Das von George Wyllie geschenkte Litho mit der Applausmaschine hat Brigitte Heuser kürzlich dem Künstlerbund-Vorsitzenden Peter Nedwal verehrt als nette Geste, denn in der Bildenden Kunst erntet man am wenigsten Applaus. Das Original-Kunstwerk aus Metall mit Gummirädern hat Brigitte Heuser selbst ausprobiert. Sie drehte die Kurbel – und die mit Lederstücken beklebten beweglichen Händepaare vereinigten sich in den verdienten Ovationen, „Es war kein großes Kunstwerk, aber witzig.“

Die fahrbare Maschine beherrscht alle Arten von Händeklatschen: vom Schmetterlingsstil (höfliche Anerkennung), dem leicht zögerlichen App­laus bis zum Ausbruch von Begeisterung. Auch Missfallen konnte sie zeigen: mit einem eingebauten Kritikdaumen. Durch ein Arrangement von Schnüren und Haken ist es möglich, die einfache Drehbewegung in eine Auf- und Ab-Position zu verändern. Der Künstler stellte seine Applausmaschine nicht nur als Anschauungsobjekt aus, sondern bot es zum Gebrauch an. Mit einer Einschränkung: Für politische Veranstaltungen gab er sie nicht her.

Das Ehepaar Heuser wohnte auch dem medialen Großereignis bei, als Gorge Wyllie eine Lokomotive aus Strohballen auf einem Tieflader durch Glasgow fuhr und am Hafen mehrere Monate an einem riesigen Kran hängte, bevor das Machwerk feierlich verbrannt wurde. Ebenso sorgte er mit seinem überdimensionalen Papierschiffchen, das am Clyde vor Anker ging und auch auf dem Hudson River in New York, für Furore.

Dr. Brigitte Heuser mit Wyllie-Skulpturen. Fotos: sis

Dr. Brigitte Heuser mit Wyllie-Skulpturen. Fotos: sis

Weltweite Aufmerksamkeit erregte der Künstler vor dem Mauerfall mit seiner Skulptur „Berlin-Bird“, die er 1988 im Rahmen der europäischen Kulturhauptstadt Berlin geschaffen hat. Der vier Meter hohe Metallvogel mit langem Hals und Kopf aus einem Stück Eisenbahnschiene blickte über die Mauer mit Todesstreifen auf das Grenzgebiet und die damalige DDR-Volkspolizei, die sich veräppelt fühlte. Kunst als Provokation für die Trennung der Stadt.

Brigitte Heuser verwendet warme Worte, wenn sie von George Wyllie spricht. Nach einer nicht wirklich glücklichen Kindheit im Schatten der Glasgower Werften hatte er unterschiedlichste Berufe ergriffen, diente während des Zweiten Weltkriegs bei der britischen Marine und besuchte auch Hiroshima, nachdem dort eine amerikanische Atombombe ihr verheerendes Werk verrichtet hatte. Dieses Erlebnis hatte einen nachhaltigen Einfluss auf sein späteres Leben. 1965 entschloss er sich, Künstler zu werden, ohne seine Arbeit beim Zoll aufzugeben. Er besuchte eine Kunstschule in Greenock, lernte dort das Schweißen, denn Arbeiten mit und aus Metall waren seine Leidenschaft.

Ab 1979 widmete sich der damals 52-jährige George Wyllie ganz der Kunst, sammelte Erfahrungen in Amerika, traf sein großes Vorbild Joseph Beuys in Edinburgh. Dessen Credo „Jeder Mensch ist ein Künstler“ erwies sich als richtungsweisend für Wyllies Arbeit, der sich nicht nur mit der Gestaltung von Objekten befasste, sondern auch schriftstellerisch und journalistisch tätig war.

Tragischerweise verstarb er ausgerechnet in dem Jahr, das durch das „The Whysman Festival“ gerade sein Werk besonders huldigte: im Mai 2012 im Alter von 90 Jahren, nachdem er mehr als ein halbes Jahrhundert in Gourock gelebt und gearbeitet hatte. Der Zollbeamte mit künstlerischer Ader provozierte mit seiner Kunst, forderte auf zum Nachdenken und setzte mit einfachsten Mitteln seine Arbeiten um. Manchmal höchst unkonventionell, aber Aufsehen erregend.

Das Ehepaar Heuser lernte den Künstler während seiner Zeit in Glasgow kennen. Von 1981 bis 1987 leitete Dr. Georg Heuser das dortige Goethe-Institut und leistete Kulturarbeit von hohem Niveau. Aus der Bekanntschaft mit George Wyllie und seiner Frau Daphne entwickelte sich eine Freundschaft mit vielen gemeinsamen Unternehmungen und gegenseitigen Besuchen, auch nach dem Umzug nach Rothenburg in die Paradeisgasse. George Wyllie machte den Goethe-Institutsleiter bei Vorbereitungen für eine Ausstellung auch mit Joseph Beuys bekannt. Es entwickelte sich ein eindrucksvolles Gespräch, das in bleibender Erinnerung blieb. „Mein Mann hat immer wieder voller Stolz davon erzählt“,

Als Beuys 1986 starb, baute Wyllie aus drei dicken Stangen ein Dreibein mit einem großen Stein in der Mitte als eine Art Gedenkstätte für seinen Künstlerfreund und ließ das Kunstobjekt langsam im Moor versinken. „Es war damals scheußliches Wetter und un­sere Tochter hatte hin­terher eine Erkältung“, erzählte Dr. Brigitte Heuser, eine ehemalige Ärztin, als wäre es gestern gewesen. Jedes Bild und Foto an der Wand, jede Plastik und Skulptur im Regal hat eine eigene Geschichte, die sie erlebt hat. Es ist eine Freude, ihr zuzuhören. sis

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