Lebensverändernde Begegnung
Die Jesus-Geschichte aus Sicht eines Söldners – Ein emotionaler Auftritt
ROTHENBURG – Die Passionszeit ist ziemlich heftig. Wir sind aufgerufen, schonungslos ehrlich mit uns selbst zu sein, aber auch schonungslos ehrlich mit dem, was wir so gerne das System nennen.
Um uns herum bricht das Leben hervor, und die Lebenslust ist fast mit Händen greifbar – und wir reflektieren über Sünde, Schuld, Leiden und Tod. In einer Gesellschaft, in der es um Status und Haben geht, in der jeder alt werden aber niemand alt sein will. Wer braucht das Kreuz, wenn wir die Auferstehung haben? Haben wir nicht selbst Zweifel am Zweck und Sinn, symbolisch den Weg mit Christus zum Kreuz zu gehen.
Doch müssen wir zugeben, dass wir Lasten, Leid und Schuld mit uns herumschleppen, wenn wir ehrlich mit uns selbst sind. Wir lieben unsere Nächsten nicht, und machmal lieben wir noch nicht einmal uns selbst. Woran das sichtbar und spürbar ist? Nicht alles ist in Ordnung in dieser Welt – und mit uns.
Mitten hinein in den Ernst des Karfreitags und das Kerngeschehen des Christentums führte das Schauspiel „König der Himmel“ am ersten Abend der Karwoche vor dem Heilig-Blut-Altar auf der Empore der Jakobskirche. Eine von Kulturforum und St. Jakob gemeinsam finanzierte Kulturveranstaltung – durch die exzellente Besetzung und Umsetzung auf hohem Niveau. Vor der figürlichen Darstellung des Einzugs Jesu in Jerusalem, der Abendmahl-Szene und Soldaten im Garten Gethsemane spielte und erzählte der mit Preisen ausgezeichnete Schauspieler Christian Klischat in dem Kirchenraum eindrücklich die von Götz Brandt inszenierte Passionsgeschichte. Aus der außergewöhnlichen Perspektive des Henkers in Gestalt eines römischen Soldaten und Besatzers, der nur seine Pflicht erfüllt. Auspeitschen und foltern gehören zu seinem täglichen Geschäft.
Die rund siebzig Zuschauer erlebten die brutale Welt von damals. Das qualvolle Leiden des Mannes mit dem Namen Jesus von Nazareth, der sich aller Lächerlichkeit zum Trotz „König“ nannte und vom Frieden predigte. Als jüdischer Anführer, falscher Prophet und Wunderheiler stellte ihn die religiöse Gerichtsbarkeit an den Pranger und verurteilte ihn die politische Macht zum Tode. Mit schauspielerischer Leistung gibt Christian Klischat mit Worten und mit der Sprache der Bilder eine eindringliche Vorstellung. Von dem Blut und Wasser schwitzen und der Geißelung bis zur Kreuzigung, die Krönung mit der Dornenkrone, die fast jeden Quadratzentimeter des Kopfes malträtiert.
In der Rolle des unbarmherzigen Schinders begleitet er den Gekeuzigten bis zum Tod. Hat dieser Scharlatan es nicht verdient unter Hohn und Spott ans Kreuz genagelt zu werden? Das Kreuz als Folterinstrument menschlicher Henkerfantasien. Bei den Römern die grausamste Tötungsart für Aufständische. Beim dreitägigen Wache halten unter dem Kreuz kommt der von Hitze und Krähen geplagte Soldat ins Grübeln und erlebt den Wandel in sich selbst. Die Selbsterniedrigung des Nazaraners ist ihm ein Rätsel. Was ist denn das für ein Königreich, dessen König so misshandelt werden kann, ohne dass seine Truppen eingreifen?
Christian Klischat, bekannt in Rothenburg vom „Schischyphusch“-Gastspiel im Toppler Theater, lässt den Eindruck eines authentischen Gedankenflusses entstehen. In erzählerischer Form ermöglicht er dem Publikum den scheinbar direkten Zugang zum Innersten einer literarischen Figur. Dabei schlüpft er in andere Rollen und begibt sich auf die Spuren der damaligen Entwicklungen.
In einer imaginierten Seelenkommunikation und gleichzeitiger körperlicher Gebundenheit reflektiert der Soldat, emotional tief berührt vom sterbenden Jesus und von einer Trauernden, sein eigenes Verhalten. Zweifel beginnen an seinem Selbst zu nagen. Sein Unglauben bröckelt.
Ein purpurfarbenes Tuch als Anspielung auf das Gewand eines Hohen Priesters zu Zeiten Jesu, ein kleines Podest und Licht bringen die zwei Welten Theater und Liturgie zusammen und lassen die eindringliche Vorstellung „echt“ wirken. Mit einem hoffnungsvollen Blick des Soldaten ins leere Grab endet das exzentrische Stück. Es lässt offen, ob der römische Söldner an die Botschaft der Aufstehung glaubt. Aber der kaltherzige Auftragsmörder hat einen Wandel erfahren und erfasst, dass Güte und Menschenliebe das Leben bereichern können.
In der Auseinandersetzung mit theologischen Themen hat Christian Klischat in eigenen Produktionen auch schon den sprachgewaltigen Luther und den Verräter Judas gespielt. Kraftvoll macht auch das neue Stück Konflikte durchschaubar, um Zuschauer zu bewegen, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern. sis
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