Als 15-Jähriger im Kriegsfinale
Erich Heißwolf diente in der Fahrbereitschaft Rothenburg – Gefahren unversehrt überstanden
ROTHENBURG – Erich Heißwolf (86) erinnert sich als wär’s gestern gewesen: Im Januar 1945 wurde er als nicht ganz 16-Jähriger, wie etliche andere in seinem Alter, als Teil des letzten Aufgebots noch in den Kriegsdienst einberufen. An der Heimatfront war er in der damaligen Fliegerschule Teil der Fahrbereitschaft zum Transport, zur Versorgung und für die Überbringung von Botschaften. Sie befand sich in jenem Gebäude, das später das aus der Altstadt verlagerte Krankenhaus aufnahm und das heute noch Teil der Klinik ist. Er hatte Glück: Diese Zeit voller Gefahren und heikler Missionen überstand er unversehrt.
Zwischen 25 bis 30 Leute waren sie damals und mussten sich ein paar wenige Fahrzeugen vom Motorrad über Pkw mit Anhänger bis hin zum Traktor mit Anhänger teilen. In ganz Rothenburg, so berichtet Heißwolf rückblickend, gab es in jenen Tagen zum Ende des 2. Weltkrieges nur noch zwei Lastwagen: das Brauhaus hatte einen größeren und Essig-Schmidttell (im Eckhaus Klingengasse/Röderschütt) einen kleineren. Eisenbahnwaggons waren meist kriegsgebunden. Als Leiter der Fahrbereitschaft fungierte Fritz-Heinz Boas, der in der Fliegerschule als Verwaltungsstellenleiter tätig war. An die Wende geglaubt „Das war schon ein Verzweiflungszustand damals,“ erzählt Erich Heißwolf aus diesen letzten Kriegswochen und breitet eine ganze Sammlung von Ausweisen und Bestätigungen aus dieser Zeit vor uns auf. Bei der Hitler-Jugend, so viel geht aus den Papieren hervor, wurde er der „Gefolgschaft 1/308“ Rothenburg zugeordnet und als „Kriegsfreiwilliger“ geführt: „Ich war 15 Jahre alt und wir waren so eingestellt, dass man alles tut, um doch noch die Wende herbeizuführen.“ Dazu gehörten auch Schanzeinsätze in der Pfalz. Dort hob der Nachwuchs Laufgräben aus, um den Soldaten in dieser Feldbefestigung zwischen Hinterland und vorderster Frontlinie Schutz vor Gewehrkugeln und Granatsplittern zu bieten. Anders als der Schützengraben diente der Laufgraben nur in Ausnahmefällen dem aktiven Kampf und war nicht mit Schießscharten oder ähnlichem ausgestattet. Die Soldaten konnten sich dort in gebückter Haltung bewegen. Der Jungvolk-Ausweis Erich Heißwolfs stammt vom 1. Februar 1944. Vorher war er als 14-Jähriger, wie viele in diesem Alter („mehr oder weniger automatisch“), zur Hitler-Jugend gekommen. In vier unterschiedliche Bereiche teilte sich auch in Rothenburg seinen Angaben zufolge die nach militärischem Muster ausgerichtete Nachwuchsorganisation. Die Marine-Schar übte immer sonntags in der Früh am Lindleinsee. In der Motorschar wurde Heißwolf, der sich für alles begeisterte, was mit Fahrzeugen zu tun hatte, am 1. Januar 1945 Scharführer. Unterstellt war sie zur Grundausbildung der NSKK, dem nationalsozialistischen Kraftfahrkorps, einer paramilitärischen Unterorganisation der NSDAP. Die Flieger-Schar übte sonntags mit Segelfliegern am Hesselberg. Darüber hinaus gab es noch die Sicherheits-Schar, die beispielsweise im Kino das Alter der Zuschauer kontrollierte und die herauspflückte, die zu jung waren für den einen oder anderen Streifen. „Es war eine gute Zeit, aber man musste gehorchen,“ merkt Heißwolf an, ohne damit als Ewiggestriger gelten zu wollen. Die Schattenseiten des Dritten Reiches und seiner Ideologie bis hin zu den fatalen Irrungen und Folgen hat auch er spüren müssen, obwohl er die gefährliche Zeit vor 70 Jahren glücklich und unversehrt überstanden hat. In den letzten Kriegstagen rückte die Front immer näher auf Rothenburg zu. Das Büro der Fahrbereitschaft wurde vom Parterre kurzerhand in den ersten Stock der Fliegerschule verlegt. Das Erdgeschoss musste geräumt werden, um dort Platz zu schaffen für den Hauptverbandsplatz, den man sich als eine Art Akut-Lazarett vorstellen muss. Die Fahrbereitschaft und damit auch die Fliegerschule saß wie auf einem Pulverfass. Im Garten befand sich, unter Bäumen versteckt, ein größeres Tanklager, bestehend aus lauter 200-Liter-Fässern. Passiert ist zum Glück nichts: „Da hätte ein einziger Funken genügt und alles wäre in die Luft geflogen.“ An einige der Einsatz-Fahrten kann sich Heißwolf noch besonders gut erinnern. Da ist beispielsweise die im Auftrag der Kreisleitung zur Gauleitung in Nürnberg an jenem 26. Februar 1945. Die mittelfränkische Metropole, Hochburg der Nazis, war erst kurz zuvor schwer bombardiert worden. Alles lag dort in Trümmern und es klafften große Trichter. Er habe damals alles riskieren und aufbieten müssen, um sich auf seiner 125er Triumph auf eigene Faust zum Ziel durchzuschlagen, berichtet Heißwolf. Zu jener Stunde, als einen guten Monat später Bomben fielen auf Rothenburg an jenem Ostersamstag 1945, war er mit seinem Motorrad beim Batteriewechsel in der Werkstatt Rettinger. Sie befand sich auf dem Gelände der späteren Post und heutigen VR-Bank. Plötzlich sei ein Rasseln zu hören gewesen. Er habe sich angesichts der Maschinen am Himmel und jener in der Sonne blinkenden, todbringenden Fracht, die aus ihnen zu Boden fiel, im naheliegenden Luftschutzkeller in Sicherheit bringen wollen. Die Sirenen heulten. Viele hätten das aber offensichtlich fehlgedeutet und gedacht, das Signal bedeute schon so etwas wie Vorentwarnung. Sie drängten nach draußen. Da quoll sie auf und legte sich über alles: jene dicke dunkle Phosphorwolke, die Brand und Zerstörung brachte. Vom Rödertor kommend strömten immer mehr Menschen mit Koffern, die einige eilends zusammengesuchte Habseligkeiten enthielten, aus der Altstadt nach draußen.
„Um Himmels Willen,“ habe er gedacht, als ihm das riesige Ausmaß der Zerstörung für Rothenburg und für seine Altstadt klar wurde. Wie es wohl um sein Zuhause Pfäffleinsgäss-chen stand? Im Haus Nummer 7 ist er geboren worden und auch dort aufgewachsen. Zunächst habe er sich mit seinem Motorrad über Spitaltor und Siebersturm durchschlagen wollen zum Elternhaus, aber es sei einfach kein Durchkommen gewesen. Deshalb sei er umgekehrt und habe den Weg übers Kobolzeller Tor nehmen wollen. Auch da gab es kein Vorwärts für Heißwolf mit seiner Maschine. Kurzerhand habe er das Motorrad schließlich in den Graben geschoben, den Zündschlüssel abgezogen und sei zu Fuß nach Hause geeilt. Seinen Vater traf er im Pfäffleinsgässchen vor dem Haus unversehrt und mit dem Besen in der Hand an. Ihm fiel dabei ein Stein vom Herzen. Alles lag voller Ziegelbrocken und es musste zusammengekehrt werden. Die Springbomben hatten zwar auch bis in diesem Bereich der Altstadt ihre Wirkung getan und unübersehbare Spuren hinterlassen. Aber wie durch ein Wunder war das Elternhaus bis auf einige Kleinigkeiten am Dach, die relativ schnell wieder geflickt waren, unversehrt geblieben. „Wir hatten ordentliches Glück damals,“ unterstreicht Heißwolf. Das gilt auch für seinen Dienst in jenen letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. „Um Haaresbreite wäre ich dabei gewesen,“ als der für die drei Männer von Brettheim bestimmte Galgen aus Schwabach geholt werden musste, erinnert er sich. Auch solche Aufträge fielen in die Zuständigkeit der Fahrbereitschaft. Eigentlich sei er als Begleitfahrer vorgesehen gewesen. Zum Glück sei aber ein anderer Auftrag dazwischen gekommen und das habe es ihm erspart, als Gehilfe in jenes Kommando verwickelt zu werden. Seines Wissens habe der Galgen seinen Bestimmungsort erreicht, allerdings verspätet. Als die Holz-konstruktion schließlich vor Ort angekommen sei, hätten die drei Männer von Brettheim schon gehangen. Statt des Galgens bediente man sich der Friedhofslinden bei der Vollstreckung der Todesurteile. Heikle Mission Einer seiner letzten Aufträge: Er musste beim Abtransport der östlich von Rothenburg in Stellung gebrachten Flak-Geschütze (Flugabwehrkanonen) nach Linden mitwirken. Ein Granatsplitter hat damals einen aus Wachtelbuck (Urphershofen) stammenden Mann so unglücklich am Gesäß getroffen und ihn so schwer verwundet, dass er auf dem Weg nach Windelsbach verblutete. Heißwolf sieht es als Vorsehung an, dass er auch ungeschoren aus jener anderen heiklen Mission hervorging, mit er unmittelbar zum Ende des Kriegs konfrontiert wurde. Mit dem Motorrad war er nach Morlitzwinden zu Gastwirt Kallert geschickt worden. Dort befanden sich Kreisleiter Erich Höllfritsch und Begleiter. Sie wollten sich aus dem Staub machen und zu ihren bei Treuchtlingen wartenden Frauen gelangen, um nicht den immer näher heranrückenden Amerikanern in die Hände zu fallen. Bis zum Bahnhof Dombühl, wo sie dann in den Zug stiegen, sollte er sie mit seiner Maschine begleiten. „Das machst du nicht,“ sei ihm von einem Kriegsverletzten, der ihm wohlgesonnen war, geraten worden. Er tat nur so, als wolle er das vor ihm fahrende Auto, in dem unter anderem der Kreisleiter saß, über die gesamte Strecke begleiten. Immer größer habe er den Abstand werden lassen, erzählt Heißwolf. Bei Hagenau habe er schließlich gedreht, sei nach Morlitzwinden zurückgefahren und dort geblieben, bis der Krieg entschieden war und – um ganz sicher zu gehen – sogar noch etwas länger.
Am 17. April nahmen die amerikanischen Streitkräfte Rothenburg ein. Am 19. April wagte er sich mit seinem Motorrad über die Frankenhöhe, Neusitz und die Erlbacher Straße in seine Heimatstadt zurück. Am 21. April wurde Erich Heißwolf, der heute noch im Haus Pfäffleinsgässchen 7 wohnt, 16 Jahre alt. 1943 hatte er bei Langenbuch eine Lehre als Groß- und Einzelhandelskaufmann begonnen. Daran konnte er nach Kriegsende anknüpfen. Er erinnert sich an eine seiner Fahrten von damals noch ganz genau, und zwar deshalb, weil sie mit besonderen Modalitäten verbunden war. Es handelte sich um einen Salztransport aus Heilbronn für seinen Arbeitgeber. Wegen des unumgänglichen Grenzübertritts von Bayern nach Baden-Württemberg und umgekehrt, musste die Genehmigung des amerikanischen Befehlshabers her, die schließlich auch erfolgte. Vieles war ohne Bestätigung und Ausweis nicht vorstellbar in jenen Tagen nach der Kapitulation und auch in der folgenden Besatzungszeit. Die Radfahrkarte wies Erich Heißwolf beispielsweise ganz offiziell als Berechtigter für den Besitz und den Gebrauch zweier Fahrräder aus. Eines nutzte er geschäftlich, das andere privat. Befürchtungen und Ängste betrafen damals nicht nur die Gegenwart und Zukunft, sondern vor allem auch die Vergangenheit. Die Entnazifizierung, die von Seiten der vier Mächte die Demokratisierung, die Entmilitarisierung und vor allem die Auflösung der NSDAP zum Ziel hatten, wollten viele ungeschoren überstehen und sich in eine der wenig und oder überhaupt nicht belasteten Gruppen einreihen lassen. Es gab fünf Kategorien: Hauptschuldige (Kriegsverbrecher), Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer). Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Wer damals in Rothenburg vom amerikanischen Gouverneur ins Büro in der Herrngasse vorgeladen wurde, den konnte vor diesem Hintergrund leicht ein mulmiges Gefühl beschleichen. So ging es auch Erich Heißwolf, als ihm das widerfuhr. Groß sei seine Erleichterung damals gewesen, als er den Grund der Vorladung erfuhr, erzählt er. Der Gouverneur wollte von ihm lediglich wissen, ob es im Wald bei Wachtelbuck noch aktive Werwolf-Gruppen gebe. Unter dieser Bezeichnung sind nationalsozialistische Freischärler- bzw. Untergrundkämpfer am Ende des Zweiten Weltkrieges geführt, die Reichsführer-SS Heinrich Himmler im September 1944 auf den Plan rief, um das Blatt doch noch zu wenden. Auch die Nachkriegszeit ist in Erich Heißwolfs Erinnerungen noch sehr präsent: 1947 wurde er 18 Jahre alt und durfte den Führerschein machen. Im Februar des darauf folgenden Jahres schwang er sich aufs Fahrrad, um in Ansbach zur begehrten Fahrerlaubnis zu kommen. In Rothenburg gab es damals noch keine Fahrschule und er wollte nicht warten, bis sich hier eine niederlässt. Gegen 30 Liter Benzinmarken, für die sein Arbeitgeber die Unterschrift leistete, wurde er schließlich bei der Fahrschule Weinmann in Ansbach zum Führerscheinaspiranten. Als er die Fahrerlaubnis in der Tasche hatte, konnte er bei Langenbuch ein halbes Jahr am Steuer eines 3-Tonners (Magirus) wirken. Den Vater überzeugte er schließlich, einen gebrauchten Fiat zu kaufen. Die Heißwolfs zählten damals zu den relativ wenigen Rothenburgern mit motorisiertem Untersatz. 1952 wurde in einen nagelneuen Wagen der gleichen Marke umgestiegen. 1955 heiratete Erich Heißwolf seine Frau Marianne (gebürtige Kölle). Aus der Ehe gehen die Tochter Helga (sie heiratete in einen Bauernhof in Horabach ein) und der Sohn Werner (Projektingeneur und Elektrotechniker bei Siemans in Erlangen) hervor. Bis 1956 blieb Heißwolf bei seinem Arbeitgeber Langenbuch. Dann wechselte er als Hauptbuchhalter zu Eisen-Keitel, wo er bis 1981 wirkte. Von dort ging es als Buchhalter zu VSM Insingen, dem Einrichtungshaus Franken-Hohenlohe GmbH & Co. KG. Seit 1992 befindet er sich im Ruhestand. -ww-
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