Mit Curd Jürgens im Pulverer
Erinnerungen von Werner und Fritz Staudacher, die hautnah die Filmgrößen erlebten
ROTHENBURG – In den autobiographischen Notizen der Werner-Staudacher-Stiftung berichtet der 1942 in Rothenburg geborene und als 20-Jähriger in die Schweiz ausgewanderte Werner Staudacher über einen Abend in der Weinstube „Zum Pulverer“. Gedreht wurde im Sommer 1960 gerade der Spielfilm „Gustav Adolfs Page“ und durch Zufall saßen er und sein Bruder Fritz, der damals für den „Fränkischen Anzeiger“ fotografierte, mit Curd Jürgens zusammen. Nachfolgend die herrliche Geschichte, die an Rothenburgs Film-Glanzzeiten erinnert.

Curd Jürgens zum Bildreporter Fritz Staudacher: „Schöne Bilder geworden beim Empfang. Habe sie heute schon im Blatt gesehen. Was machst Du nun?“. Gedreht wird 1959 hier gerade am Plönlein eine Aussenszene des Remakes „Blauer Engel“.
Dass Rothenburg ob der Tauber mit seinen knapp elfltausend Einwohnern nicht Provinz ist, sondern mit seinen mehr als einer Million internationalen Touristen einen interessanten Mix von Weltläufigkeit und Bürgerstolz repräsentiert, zeigte sich exemplarisch 1960 an einem Abend mit Curd Jürgens. So wie es in meiner heutigen eidgenössischen Heimat und Bundeshauptstadt Bern gang und gäbe ist, begegnete man mit etwas Glück auch in Rothenburg Prominenten aus Politik, Wirtschaft und Kultur in nächster Nähe. In guter Erinnerung geblieben ist mir die Bekanntschaft mit Curd Jürgens, einem Weltstar der Bühne („Jedermann“) und auf der Leinwand („Des Teufels General“ oder „Schinderhannes“).
„In Rothenburg ob der Tauber . . . hab‘ den schönsten Traum ich geträumt . . .“, sang der nach zwei Anlaufschoppen am Piano frisch drauflos klimpernde Alleinunterhalter Robert Stolzing in der Weinstube „Zum Pulverer“, und alle sangen mittlerweile den Refrain mit. Im hinteren Teil der direkt neben dem Burgtor liegenden und altdeutsche Gemütlichkeit ausstrahlenden Wirtschaft saßen diejenigen illustren Filmschauspieler, die vor einer Stunde noch vor der Stadt in einer Zeltlagerkulisse gedreht hatten; sie stand genau auf dem Feld, auf dem einige Jahre später die AEG-Fabrikgebäude errichtet werden sollten.
Die große Statisten-Gage
Auf ihrem Wirtshaustisch standen zwei mit Iphöfer Burgweg und Nordheimer Vögelein gefüllte Weinheber, umgangssprachlich „Saufmaschinen“ genannt. Als Statisten waren wir am Drehort auch dabei gewesen und hatten für die Kulissensteherei in Festspielkleidern am selben Abend noch 15 Mark bar ausbezahlt bekommen; soviel Geld hatten wir beide bisher noch nie so schnell und so leicht verdient. Gedreht wurde hier in Rothenburg ob der Tauber im Sommer 1960 nach Conrad Ferdinand Meyers gleichnamiger Novelle der Film „Gustav Adolfs Page“ mit Curd Jürgens – dem normannischen Kleiderschrank –, Lilo Pulver und Helmuth Schmidt in den Hauptrollen.
Die Erotik überschminkt
Unvergesslich auch die Marketenderin Ellen Schwiers: ihr Décolleté war vom Kostümbildner so weit ausgeschnitten, dass die damals von der Freiwilligen Selbstkontrolle verbotenen sekundären Geschlechtsmerkmale – schöne Brustwarzen – optisch zu prägnant hervortraten und vom Maskenbildner direkt vor unseren Augen überschminkt werden mussten; einen so vollkommenen Busen hatten wir noch in keinem Film gesehen, galt ein solcher Anblick in der prüden Nachkriegsgesellschaft doch als obszön und verpönt. Es dauerte noch fast ein Jahrzehnt, bis das Zeitalter der sexuellen Aufklärung durch Oswald Kolle.

Der Regisseur der Hollywood-Neuverfilmung des „Blauen Engel“ Edward Dmytryk genehmigt sich aus dem Meistertrunkhumpen von Kellermeister Karl Schneider einen kräftigen Schluck. Fotos: st
Verabschiedet vom hinteren Wirtshaustisch hatten sich soeben die den burschikosen Pagen spielende und lauthals lachende Bernerin Liselotte „Lilo“ Pulver und der einen schwedischen Offizier darstellenden blauäugige Helmuth Schmidt: man müsse noch eine längere Dialogpartie für den morgigen Drehtag einstudieren, entschuldigen sich beide beim augenzwinkernden Curd Jürgens, der als Hauptdarsteller den schwedischen König Gustav Adolf verkörperte. Und wahrlich, Lilo und Helmuth brachten die Szene am nächsten Tag mit nur zwei Klappen sehr authentisch hin; so gut sogar, dass aus dieser Übung eine lebenslang haltende Ehe entstand!
Reporter unter sich
Kaum war also das Liebespaar vom Tisch, so holte uns auch schon Curd Jürgens auf die frei gewordenen Plätze. Er kannte meinen kleinen Bruder Fritz noch vom letzten Jahr, als der blonde 1,93 Meter große Curd in einer Neuverfilmung des „Blauen Engels“ in Rothenburg Emil Jannings‘ Rolle des Professors Unrat übernommen hatte, und May Britt die Lola-Rolle der unerreichten Lili Marleen vergeblich zu toppen suchte (literarische Vorlage von Heinrich Mann).
Den 16-jährigen Fritz kannte Curd Jürgens bereits aus dem Vorjahr vom Oberbürgermeister-Empfang im Rothenburger Rathaus, wo er ihn und seine französische Mannequin-Gattin Simone Bichéron fotografiert sowie im Anschluss mit der Kamera durch die Rathausverliese begleitet hatte. Denn zusätzlich zu seiner Ausbildung zum Schriftsetzer agierte mein kleiner Bruder mit seiner bei Photo-Porst auf Raten gekauften Kodak Retina II als Fotoreporter des „Fränkischen Anzeigers“.
Seine Bilder hatten Curd Jürgens damals gut gefallen, und da er vor seiner großen internationalen Filmkarriere in Berlin selbst einmal als Reporter gearbeitet hatte, betrachtete er meinen kleinen Bruder gewissermassen als Kollegen. Schon ein Jahr zuvor hatte der große Schauspieler den Glockenwirt Karl Thürauf irritiert, als er den kleinen Staudacher zu einem Empfang eingeladen hatte und dieser Schulfreund Walter Lassauer mitbrachte, um gemeinsam Festspiellieder anzustimmen. Wie man erst nach dem Tode des großen Mimen erfuhr, hatte Jürgens vor seiner Bekanntschaft mit der Französin ein Techtelmechtel mit der wesentlich jüngeren Romy Schneider, die Rothenburg aus privaten Kontakten zur Familie des Kunsthändlers Ernst Geissendörfer kannte und hier verschiedentlich auf Besuch war.
Schneller als die Polizei
Ähnliches wie mit Curd Jürgens ist meinem Bruder Fritz noch einmal ein Jahr später passiert: diesmal sei eine Filmcrew aus Hollywood in unsere Heimatstadt gekommen, um mit Harvey Keitel Grimms Märchen zu verfilmen; als Still-Fotografen hatten sie Weegee (bürgerlich: Ascher Fellig) mitgebracht. Das war jener Verbrechens-Reporter im gewalttätigen New York der 40-iger und 50-ziger Jahre, der manchmal am Ort des Geschehens war und bereits fotografierte, als die Polizei erst davon erfuhr.
Wie man heute weiss, hatte Weegee diese heissen Tipps nicht alleine dem Abhören des Polizeifunks, sondern auch der Mafia zu verdanken, die die New Yorker Polizei mit Weegees Dokumenten gelegentlich sehr alt aussehen liess. Weegees Teilnahme bei diesem Filmprojekt und die Reise nach Deutschland war ein Altersgeschenk und erfolgte in Kombination mit einer Weegee-Sonderausstellung an der Kölner Photokina. Auf langen Wanderungen entlang der Stadtmauer schilderte er dem jungen Kollegen Fritz mit einer Mischung aus Wienerisch-Galizisch und Brookleenisch seine Tricks. Glauben mochte mein Bruder diese Stories aber erst, als er zwei Jahrzehnte später im „Spiegel“ darüber etwas las.
Leo Stolzing und der Wein
Im „Pulverer“ ist es mittlerweile spät geworden. Als die Nachtrundenpolizisten die Sperrstunde bekannt geben, sitzen wir mit der Filmcrew noch immer um Curd Jürgens. Immer mehr Verse und Lieder hatte der Frankenwein locker gemacht, so dass Stolzing sich langsam am Piano zu verhaspeln und mit immer feuchter werdender Aussprache zu lispeln beginnt. Wir müssen einsehen, dass der gemäss Brigitte Bardot „Normannische Kleiderschrank“ über mehr Erfahrung, eine größere Leber und ein dickeres Portemonnaie verfügt als wir und daß er großzügig unsere Zeche gleich mitbegleicht. Gottseidank waren wir als bleiche kränkelnde Statisten am nächsten Tag nur in den Kulissen zu sehen. Wir hatten uns beide zwei Tage Urlaub genommen und so viel hinzu verdient wie sonst in zwei Wochen als Lehrling.
Ob ich die Lilo Pulver einmal in Bern getroffen habe, als ich dann auch nach Bern zog, wurde ich auch schon gefragt. Nein, aber in Bern lernte ich Jahre später im damaligen SVP-Parteivorstand ihren Bruder Dr. Pulver kennen. Ich weiß nicht, ob Lilo Pulver sich an diesen Rothenburger „Pulverer“ noch erinnert. Wahrscheinlich schon, denn sie und Helmuth Schmidt hatten eine bis zum Tod des Mannes glückliche Ehe geführt. Und da vergisst man solche Tage doch nie! Werner staudacher
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