„Der Kauder war eine Qual“
FA-Interviewreihe Standpunkte (20): Karikaturist Horst Haitzinger in Schillingsfürst
SCHILLINGSFÜRST – Eine Begegnung mit dem renommierten Karikaturisten Horst Haitzinger, der momentan in der Doerfler-Galerie detailreiche Zeichnungen, farbig ausgefüllte Aquarelle und einige Repliken seiner Ölgemälde ausstellt, ist herzerfrischend. Mit wachem Geist, immer bereit für eine hintersinnige Bemerkung, schöpfte der 76-Jährige beim Interview im Hotel „Post“ aus der Fülle seiner Geschichten mit Prominenten aus Innen- und Außenpolitik, die im Weltgeschehen die Fäden ziehen und sich eigene Gesetze schaffen. Mit Ehefrau Ilse bildet er ein gutes Team. Sie muss im heimischen Malzimmer in München manchmal Modell stehen für zeichnerische Darstellungen und ist seine „kritische Instanz“, deren Meinung er sehr schätzt.
Herr Haitzinger, Sie bekommen sicher viele Angebote, wo Sie ausstellen sollen. Was hat den Ausschlag gegeben, nach Schillingsfürst zu gehen? Sie stellen dort schon das zweite Mal in der Doerfler-Galerie aus.
Hitziger: Das läuft immer in derselben Art ab. Anfragen verschiebe ich zunächst auf den Sankt-Nimmerleinstag. Aber irgendwann ist dann dieser Tag da und ich hänge an der Angel einer netten Dame – in diesem Fall war es Frau Waldmann-Wang.
Warum erscheinen Ihre großen Farb-Karikaturen in der „Bunten“ nicht mehr. Waren dem Boulevardblatt die Zeichnungen zu kritisch oder zu teuer?
Haitzinger: Nach 27-jähriger Zusammenarbeit fiel ich dem Sparprogramm zum Opfer.
Wann hatten Sie zuletzt richtig Ärger wegen einer Karikatur?
Haitzinger: Ich habe nicht den Ehrgeiz Furore zu machen, indem ich Geschmacklosigkeiten ablasse. Ich versuche in der Überspitzung sachlich zu bleiben. In einer Metapher gesprochen: Man darf aus einer Mücke einen Elefanten machen. Aber die Mücke sollte wenigstens existieren.
Satire lebt von der Verletzung von Grenzen. Ihre französischen Kollegen haben dafür mit dem Leben bezahlt. Wie weit darf Provokation gehen?
Haitzinger: Darauf gibt es keine abschließende Antwort. Das muss jeder für sich entscheiden. Ich finde Provokation um der Provokation willen äußerst infantil und ist eines erwachsenen Menschen unwürdig. Eine Provokation hat dann ihren Sinn, wenn sie wirklich einen zielgerichteten Zweck erfüllt. Ein Beispiel: Eine Charlie Hebdo-Zeichnung zeigt einen Mensch mit Turban und statt einer Nase mit einem Penis im Gesicht. Was soll das bitte?
Sie haben Ende der 70er Jahre in der Weihnachtsausgabe der „Nürnberger Nachrichten“ mit Jesus-Zwillingen in der Krippe die Religion auf die Schippe genommen und einen Skandal verursacht.
Haitzinger: Da würde heute kein Hahn mehr danach krähen. Ich fand die Reaktionen seinerzeit maßlos übertrieben. Später habe ich aber begriffen, was Gläubige daran so anstößig fanden: Es war der Missbrauch eines religösen Motivs, nur für Jux und Tollerei. Ich habe keine Kritik und keinen Inhalt transportiert. So etwas würde ich nicht mehr machen.
Es gab vor zwei Jahren auch den schlimmen Vorwurf des Antisemitismus wegen einer Karikatur zur Politik des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu.
Haitzinger: Darüber habe ich mich maßlos geärgert. Ich landete dafür auf einer Rangliste für Antisemitismus und stand in guter Gesellschaft mit Günter Grass und Jakob Augstein. Meine Israel-Kritik, die ich nach wie vor übe, hat mit Antisemitismus nichts zu tun. Antisemitismus ist eine der widerwärtigsten Haltungen die es gibt. Vor zwei Jahren hatte ich einen Riesenärger, weil ich die Redewendung „jemandem den Schwarzen Peter zuschieben“ benutzt habe. Der alte Begriff sei rassistisch, meinten Kritiker.
In den 90er Jahren hat das Europa-Parlament ihren Plakatentwurf für die Europawahl wegen der leichtbekleideten Europa abgelehnt.
Haitzinger: Im ersten Entwurf hatte die Europa nicht einmal einen Bikini an. Ich hatte sie als Mädchen mit Sexappeal dargestellt. Der Vorschlag ging nicht durch. Deshalb habe ich dann über die Brustwarzen blaue Sternchen gemalt. In dieser Fassung ist das Plakat gedruckt und wieder eingestampft worden. Vor einigen Monaten rief mich eine pensionierte Berufsschullehrerin aus Hamburg an und bemäkelt, dass ich die Europa immer nackt zeichne, wie sie in den Kunstbüchern von Rubens und Fragonard dargestellt ist. Ich habe dann bei Homer als literarischer Referenz nachgelesen. Bei ihm war die historische Figur mit einem Tuch umhüllt, das sich durch den Wind wie ein Segel aufblähte. Bei mir wird man keine nackte Europa mehr sehen. Ich bin eines Besseren belehrt.
Das Klima in der Welt ist rauer geworden. Europa schrumpft und altert und erlebt einen Flüchtlingsstrom von nie gekanntem Ausmaß. In Deutschland wächst die Zahl der Rassisten, Neonazis und auch der Dschihadisten, die den Terror des Islamischen Staates unterstützen. Wird es nicht immer schwieriger, komplexe Themen, die unsere Gesellschaft bewegen, differenziert zu betrachten?
Haitzinger: Nicht jedes Thema ist auf den Punkt zu bringen. Ich kann manchmal nur einen speziellen Aspekt herausgreifen. Es ist mittlerweile eine Grauenhaftigkeit in der Welt. Ich bin froh, dass ich am Ende und nicht am Anfang meiner beruflichen Laufbahn bin, weil mir zu diesen Dingen nichts mehr einfällt. Und wenn man etwas dazu sagt, ist es immer zur Hälfte falsch. Ich kann nicht auf den Seehofer eindreschen, weil er restriktive Asylmaßnahmen ergreift. Sollen die anderen doch etwas Besseres vorschlagen. Wo sind denn die Lösungen?
War es früher einfacher die Politik zu karikieren?
Haitzinger: Nur scheinbar. Als es noch den Kalten Krieg und Ost-West- Konflikt gegeben hat, war man als Demokratie-Befürworter auf der richtigen Seite. Mittlerweile stimmt noch nicht einmal das. Überall dort, wo man gehofft hat, dass durch den Arabischen Frühling und Revolutionen etwas Besseres nachkommt, kam noch etwas Grauenhafteres. Mir wäre ein Assad lieber als dieser grauenhafte Bürgerkrieg. Die Qualität eines Satirikers kann man daran bewerten, ob er in der Überspitzung zum Differenzieren fähig ist. Ich bin wenigstens bemüht, mir eine Portion Objektivität zu bewahren.
Sie arbeiten mit der politischen Grundhaltung, Konflikte zu thematisieren und analysieren – ohne gleich Partei zu ergreifen. Beim Umwelt- und Naturschutz beziehen Sie eine klare Position. Dürfen Karikaturisten und Journalisten auch von ihrer Pflicht der „Ausgewogenheit“ abweichen?
Haitzinger: Unbedingt! Bei der Vokabel „Ausgewogenheit“ zucke ich zusammen, denn sie ist sehr verwandt mit dem Begriff „Feigheit“. Ausgewogenheit heißt für mich, dass ich mir jedes Argument anhöre, aber dann sehr wohl eine dezitierte Entscheidung treffe. Alles was Qualität hat ist ausgewogen. Egal ob es sich um ein gut komponiertes Musikstück, ein Gedicht oder ein Biotop handelt. Alles was nicht ausgewogen ist kippt. Wenn man objektiv ist, kann man sehr wohl zu einem sehr entschiedenen Urteil kommen. Bei Natur- und Umweltthemen wird viel schöngeredet und jede Sauerei mit dem Verlust von Arbeitsplätzen gerechtfertigt. Aber auf diesem Sektor ist mittlerweile alles gesagt. Man kann nur noch variieren oder weiter ins Detail gehen.
Als Chronist sämtlicher Nachkriegsregierungen haben Sie die Kanzler von Konrad Adenauer bis Angela Merkel karikiert. Haben Sie ein zeichnerisches Lieblingsmodell?
Haitzinger: Strauß war eine sehr prägnante Figur. Aber irgendwann hat man von jedem die Schnauze voll und ist für Abwechslung dankbar. Das war auch beim Kohl so. Die Merkel schreitet jetzt hurtig diesem Zustand entgegen. Es gibt auch Horror-Figuren, die physionomisch nichts hergeben. Das war für mich jahrzehntelang der Honecker. Als ich ihn gut drauf hatte, war er nicht mehr vorhanden. Das habe ich ihm übel genommen. Vor einigen Tagen habe ich mich maßlos mit Kauder gequält. Ich habe ihn nicht so hingebracht, wie ich ihn sehe. Ich wollte schon fast aufgeben.
Da macht es Ihnen Angela Merkel mit Ihrer Frisur einfacher.
Haitzinger: Ein Karikaturist der sich auf die Frisur reduzieren muss ist schwach. Es muss schon in der Physionomie etwas Treffendes sein. Ich habe ein Bild von ihr, dem meine Karikatur entspricht.
Erscheint zum 100. Geburtstag von Strauß im September eine Haitzinger-Sonderausgabe?
Haitzinger: Ich mache kein neues Buch. Die Münchner TZ plant eine Strauß-Sondernummer mit meinen Karikaturen.
Mit den Grünen haben Sie es nicht so. Oder?
Haitzinger: Der Eindruck trügt. Ich habe ein halbes Leben lang nach einer parteipolitischen Zugehörigkeit gesucht. Solange Herbert Gruhl, Autor des Buches „Ein Planet wird geplündert“ etwas zu sagen hatte, folgte ich einer Richtung. Dann kam Jutta Ditfurth. Sie ist zeitweise haarscharf an der Ulrike Meinhof vorbeigeschrammt. Das war nicht meine Richtung. Alles was mit Ökologie zu tun hat, bin ich begeisterter Grüner. Aber vieles andere sehe ich anders.
Bleiben sie bitte noch lange gesund und aktiv. Sie werden gebraucht. Schillingsfürster hegen schon die Hoffnung, dass Sie Gefallen an der Provinz und den Lokalpossen finden. Sie hätten ein reiches Betätigungsfeld.
Haitzinger (lacht): Dafür habe ich beim besten Willen keine Zeit.
Sie haben zwei Töchter und mehrere Enkelkinder. Ist darunter ein Zeichentalent, das die familiäre Tradition fortsetzt?
Haitzinger: Den Beruf kann ich niemanden empfehlen. Der Geschmack hat sich seit meinen Anfängen dermaßen verändert, dass ich nicht mehr sagen kann, wie es in zwanzig Jahren aussieht. Mein Stil spricht die mehr oder weniger ältere Herrschaften an. Die Jüngeren sind an Comics orientiert, was kein Schaden ist. Es gibt sehr intelligente und brilliant gemachte Comics, wie Asterix. Aber es gibt auch viel Krickelkrakel auf einem Niveau von Fünf- bis Sechsjährigen.
Müssen Sie jeden Tag eine Karikatur machen?
Haitzinger: Müssen tue ich gar nichts. Ich bin ein freier Unternehmer. Mit der Redaktion der „Nürnberger Nachrichten“ arbeite ich am längsten zusammen. Sie bekommt jeden Wochentag eine Zeichnung. Es ist schön, ein tägliches Forum zu haben.
Woher nehmen Sie die Inspiration für ihre Karikaturen?
Haitzinger: Ich höre viel Radio. Es regt meine Fantasie an. Da die Bildbezogenheit komplett fehlt, entstehen die Bilder zu den Nachrichten in meinem Kopf. sis
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